Ein außergewöhnlicher Anblick bot sich den Menschen, die vergangenen Freitag auf der Veranstaltung EastSideLights waren. Der gewohnt offene, von grünen Wiesen und grauen Steinen umgebene Sokratesplatz war hell erleuchtet. Und: Ein Kunstwerk aus Bronze, das normalerweise eine von vielen Skulpturen von Künstler Jörg Plickat auf dem Campus der Fachhochschule ist, war Hauptdarsteller einer ganz besonderen Show.
„Unser Wunsch für heute Abend war, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlicher Lebenswelten zusammentreffen, und genau das ist heute passiert“, schwärmt die Moderatorin des Abends, Katharina Fischer. Dass die Kunst das schafft, berührt sie.
Katharina und viele weitere haben gemeinsam diesen Abend initiiert, geplant und umgesetzt. Das Outdoor-Event EastSideLights macht aus der Kunst auf dem FH-Campus neue Kunstwerke. Die Lichtinstallation von Benjamin Rachfahl strahlte die Plastik „Tor“ von Jörg Plickat und das Große Vorlesungsgebäude an. Wenn es dunkel wird, erweckte die Lichtinstallation die Figur mit 3D-Projektionen zu neuem Leben. Die Zuschauer*innen glaubten ihren eigenen Augen kaum, als die Projektion startete. Es sah aus, als drehte sich die Figur in kleinen Scheibchen. Sie entwickelte neue Dimensionen, verdrehte sich in sich selbst, und strahlte am Ende wieder hell, als sei nichts passiert. Man vergaß, dass die Statue eigentlich keine zweidimensionale Fläche ist, sondern ihre eigene Dreidimensionalität besitzt. Mit dreimal Blinzeln war das Schauspiel nicht überwunden. Es fiel leicht, sich in den Lichtern fallen und vom Gesehen mitnehmen und begeistern zu lassen.
Die Wand des Großen Hörsaalgebäudes im Hintergrund war ebenfalls Teil der Show. Auf ihr wurde die Illusion erzeugt, als sei sie aus Backsteinen, die sich bewegen. Sie wandelte erst zum Gesicht, dann zur Welle und am Ende zum Menschen. Passend dazu spielte ein auf das Kunstwerk und die Lichtkunst optimal abgestimmtes Lofi-Techno-Lied. Vereinzelt sprach eine männliche Stimme, sie forderte zur Erneuerung des Seins auf. Die Kombination aus Licht und Bewegung wiederholte sich alle 20 Minuten, zwischendurch wurde die Statue angestrahlt und ein Countdown eingeblendet.
Der innovative Mix aus standhafter, anfassbarer Bronze-Skulptur und beweglichem, veränderlichem, tricksendem Licht wurde veranstaltet von der Gruppe eastside lights. Diese Initiative des Stadtteiles Neumühlen-Dietrichsdorf hat sich im letzten Jahr entwickelt und ist dabei, zu einem Verein zu werden. Mit der Lichtinstallation nehmen sie unter anderem am Innovationsfestival der Kielregion teil. Mit der Intention, Grenzen zu überwinden, hatten sie diesen Abend ausgerichtet. Die Vision, so Organisatorin Carolin Boeck, sei das Veranstalten eines Lichtfestivals auf dem Campus der FH. Der Campus habe ihn direkt inspiriert, als er ihn zum ersten Mal betreten habe, erklärt Künstler Rachfahl. „Er ist so verspielt, er hat viele Grünflächen, ist verkehrsberuhigt und überall stehen Skulpturen“, erzählte der Lichtkünstler, der seit einem Jahr in Dietrichsdorf lebt. Mit der Corona-Krise kam seine Tätigkeit in der Veranstaltungsbranche zum Erliegen, sodass er Zeit hatte, der Idee eines campusweiten Lichterfestes nachzugehen. Das Ergebnis konnte sich definitiv sehen lassen. Die Grenzen des Dagewesenen, des Wahrgenommenen und des Realen verschwammen. Immer wieder musste man sich fragen, ob man eigentlich noch auf dem Sokratesplatz vor dem bekannten Gebäude und der schon oft gesehenen Skulptur steht.
„Ich finde es ganz wunderbar, bin ganz begeistert hier“, schwärmte Künstler Jörg Plickat, dessen Skulptur mit der Lichtinstallation projiziert wurde. Mit dem Thema des Abends, der Überwindung von Grenzen, könne sich seine Arbeit gut identifizieren. Mittlerweile, berichtete er, stünden Werke von ihm auf vier verschiedenen Kontinenten. Und dort würden sie von den Menschen verstanden. „Kunst hat es einfacher, Grenzen zu überwinden, weil sie eine universelle Sprache ist. Das macht es besonders schön“, resümierte er.
Dass es sich beim Veranstaltungsabend um einen grenzüberwindenden handelt, machte auch FH-Kanzler Klaus-Michael Heinze klar. Zunächst, erklärte er, öffne die Veranstaltung die kleinste Grenze zwischen Stadtteil und Hochschulcampus. Aber: „Eine solche Veranstaltung ist auch gut dafür geeignet, eine gefühlte Grenze, die Konfliktlinie zu thematisieren: Das Westufer schätzt das Ostufer kaum wert.“ Diese Veranstaltung habe das Potential, die Region Kiel über die deutsche Grenze hinaus strahlen zu lassen, weil sie neue Dinge ausprobiere. „Es ist eine echte Bereicherung, nicht nur für das Ostufer, sondern für ganz Kiel“, findet der Kanzler. „Ich bin sehr glücklich, dass wir Ort dieser Installation von Benjamin Rachfahl sein dürfen, und es freut mich sehr, dass er von Jörg Plickat eine Einladung hat, sich mit der Installation auf der Nordart nächstes Jahr zu bewerben.“
Neue Dinge auszuprobieren, das ist auch der Initiative wichtig, erklärte Boeck. Die Mitglieder der Gruppe „kennen den Stadtteil, weil sie dort wohnen oder dort studieren, und sie kennen auch dessen Potential“, sagte sie. „Benjo [Rachfahl] ist einer von uns.“ Nach einem Mapping-Event, also einer 3D-Lichtprojektion, im letzten Jahr habe sich die Gruppe formiert. Das Medium sei etwas Besonderes und noch nicht so verbreitet. Das fände die Gruppe sehr spannend.
„Wir haben die Vision unseres Vereines, den wir gründen möchten, einfach umgesetzt“, resümierte Moderatorin Fischer.