Ein Mann sitzt auf einem Tisch und schaut lächelnd in die Kamera© A. Die­köt­ter
Über das Pro­be­stu­di­um hat Phil­ip Herr­mann sei­nen Ba­che­lor-Ab­schluss ge­macht und stu­diert nun im Mas­ter In­for­ma­ti­on En­gi­nee­ring.

Durch das Pro­be­stu­di­um zum Mas­ter

von Nele Be­cker

Dass Phil­ip Herr­mann heute kurz vor dem Mas­ter­ab­schluss ste­hen würde, hätte er sich noch vor we­ni­gen Jah­ren kaum vor­stel­len kön­nen. Der 41-Jäh­ri­ge hat als Stu­dent auf Probe einen Ba­che­lor am Fach­be­reich In­for­ma­tik und Elek­tro­tech­nik der Fach­hoch­schu­le Kiel be­gon­nen. Er ent­schied sich, di­rekt im An­schluss noch den Mas­ter zu ma­chen, den er im Laufe die­ses Jah­res be­en­den wird.

Wäh­rend der Schul­zeit, die der ge­bür­ti­ge Itz­sted­ter in Nahe (Kreis Se­ge­berg) ver­brach­te, hätte Phil­ip Herr­mann diese Zu­kunft kaum je­mand vor­aus­ge­sagt. „Schu­le war in der Ju­gend echt nicht das, was mir am meis­ten Spaß ge­macht hat“, sagt der Mas­ter­stu­dent. „Erst re­la­tiv spät hat mich dann doch noch der Ehr­geiz ge­packt, und ich habe meine mitt­le­re Reife am Be­rufs­bil­dungs­zen­trum Bad Se­ge­berg nach­ge­macht.“

Die nächs­te Sta­ti­on war die Phy­si­ka­lisch-Tech­ni­sche Lehr­an­stalt Wedel vor den Toren Ham­burgs. Dort ab­sol­vier­te Herr­mann eine schu­li­sche Aus­bil­dung zum Tech­ni­schen As­sis­ten­ten für In­for­ma­tik. „Das waren noch an­de­re Zei­ten, da wuss­te ich noch gar nicht so viel mit In­for­ma­tik an­zu­fan­gen. Ich hatte keine Vor­stel­lung davon, was Pro­gram­mie­ren und Da­ten­ver­ar­bei­tung be­deu­ten, und auch als Schul­fach war In­for­ma­tik ge­ra­de erst im Kom­men “, er­in­nert er sich. „Aber ich dach­te, das klingt nach einem guten Bü­ro­job. Und für die pri­va­te Aus­bil­dung konn­te ich auch auf die fi­nan­zi­el­le Un­ter­stüt­zung mei­ner Fa­mi­lie zäh­len.“

Nach der Aus­bil­dung fand er schnell einen si­che­ren Job in einem IT-Un­ter­neh­men. „Dort habe ich eine Soft­ware be­treut, die ich von Grund auf ge­schrie­ben habe. Sie ba­sier­te je­doch auf einer sehr alten Tech­no­lo­gie. Mein Wunsch nach be­ruf­li­cher Wei­ter­ent­wick­lung mit neuen Tech­no­lo­gi­en wurde in der Firma lei­der nicht er­füllt, so­dass ich für mich per­sön­lich über­haupt kei­nen Fort­schritt ge­se­hen habe. Des­we­gen woll­te ich dann den Job wech­seln – und stieß auf­grund eines un­glück­li­chen Zu­falls di­rekt auf eine große Hürde.“

Herr­mann muss­te fest­stel­len, dass seine Be­wer­bung in vie­len Per­so­nal­ab­tei­lun­gen gar nicht erst be­rück­sich­tigt wurde – weil er kei­nen Ba­che­lor­ab­schluss vor­wei­sen konn­te. Zwar hatte er schon häu­fi­ger mit dem Ge­dan­ken ge­spielt, even­tu­ell ein­mal zu stu­die­ren. „Da ich viel Wert auf Work-Life-Ba­lan­ce lege, konn­te ich mir aber nicht vor­stel­len, das be­rufs­be­glei­tend zu ma­chen“, sagt er. Eine freu­di­ge Ent­de­ckung im Klein­ge­druck­ten des Bun­des­aus­bil­dungs­för­de­rungs­ge­set­zes (BAföG) gab schlie­ß­lich den ent­schei­den­den An­stoß: Für Men­schen, die noch keine Hoch­schul­zu­gangs­be­rech­ti­gung haben, son­dern diese im Zuge der Aus­bil­dung erst er­wer­ben, ist die Al­ters­be­schrän­kung des Bafög – 30 Jahre – auf­ge­ho­ben.

„Als ich das ge­se­hen habe, gab es kaum noch ein Hal­ten. Und dann habe ich alles auf eine Karte ge­setzt und bin bei der Re­cher­che auf die Mög­lich­keit des Pro­be­stu­di­ums an der FH Kiel ge­sto­ßen“, be­schreibt Herr­mann.

Er­mu­tigt durch den per­sön­li­chen Kon­takt mit Kirs­ten Brün­del, der Ge­schäfts­füh­re­rin des Fach­be­reichs In­for­ma­tik und Elek­tro­tech­nik, be­warb er sich auf den Ba­che­lor­stu­di­en­gang In­for­ma­ti­ons­tech­no­lo­gie und In­ter­net – heute In­for­ma­tik. Die Um­stel­lung vom An­ge­stell­ten zum Stu­den­ten war zu­nächst groß: „Ich muss­te mein Leben ver­än­dern, mich vor allem stark ver­klei­nern. Ich habe meine Drei-Zim­mer-Woh­nung um­ge­stal­tet und zwei der Zim­mer ver­mie­tet“, be­rich­tet der 41-Jäh­ri­ge. „Ich muss­te mich auch daran ge­wöh­nen, dass ich jetzt das meis­te für die Schub­la­de ent­wick­le, viel Ar­beit rein­ste­cke, aber kein Geld dafür krie­ge“, sagt Herr­mann mit einem La­chen. „Und ich stand auch ganz schön unter Druck, weil ich es un­be­dingt schaf­fen woll­te.“

Des­halb setz­te der Stu­dent alles daran, die ver­meint­lich grö­ß­te Her­aus­for­de­rung des In­for­ma­tik­stu­di­ums als ers­tes zu meis­tern: Ma­the­ma­tik. „Im ers­ten Se­mes­ter habe ich das Nö­tigs­te in den La­bo­ren ge­macht – und sonst nur Mathe ge­lernt“, sagt Herr­mann. Mathe sei am Fach­be­reich In­for­ma­tik und Elek­tro­tech­nik als „DER Raus­schmei­ßer“ be­kannt – ei­gent­lich auch als der ein­zi­ge.

Herr­manns Stra­te­gie ging auf. Ans Auf­ge­ben hat er wäh­rend der bei­den Se­mes­ter auf Probe und auch da­nach nie ge­dacht – im Ge­gen­teil: „Ur­sprüng­lich woll­te ich nur den Ba­che­lor ma­chen, das war mein Ziel. Das Stu­den­ten­le­ben ins­ge­samt hat mir dann echt gut ge­fal­len“, be­grün­det er seine Ent­schei­dung, nach dem er­folg­rei­chen Ab­schluss in Re­gel­stu­di­en­zeit noch den Mas­ter In­for­ma­ti­on En­gi­nee­ring an­zu­schlie­ßen. Im Ju­bi­lä­ums­jahr der Fach­hoch­schu­le Kiel er­hielt Herr­mann 2019 für zwei Se­mes­ter das Deutsch­land­sti­pen­di­um, so­dass er sich auch fi­nan­zi­ell keine Sor­gen ma­chen muss­te. „Mit dem Mas­ter woll­te ich mich noch etwas an­ders aus­rich­ten und mich wei­ter spe­zia­li­sie­ren“, sagt Herr­mann. Für den bald an­ste­hen­den Wie­der­ein­stieg in die Be­rufs­tä­tig­keit knüpft er be­reits Kon­tak­te zu Un­ter­neh­men in der Re­gi­on.

Ge­hol­fen haben dem Mas­ter­stu­den­ten nach sei­ner Ein­schät­zung ins­be­son­de­re die Vor­kennt­nis­se aus sei­ner Aus­bil­dung und aus der Be­rufs­tä­tig­keit. „Da die Aus­bil­dung 14 Jahre her war, habe ich mich aber bei­spiels­wei­se mit einem On­line-Mathe-Vor­kurs auf das Stu­di­um vor­be­rei­tet.“ Dass er einen Stu­di­en­gang wähl­te, der the­ma­tisch an seine Aus­bil­dung an­knüpf­te, er­leich­ter­te die Ein­ge­wöh­nung. „Ein fach­frem­des Stu­di­um ist be­stimmt noch mal eine an­de­re Her­aus­for­de­rung. Auch das Wis­sen dar­über, wie sich eine 40-Stun­den-Woche an­fühlt und wie nett da­ge­gen ein Stu­di­um ist – das hilft sehr“, stellt Herr­mann schmun­zelnd fest.

Auf seine Ent­schei­dung für das Pro­be­stu­di­um er­hielt Herr­mann ge­misch­te Re­ak­tio­nen aus sei­nem per­sön­li­chen Um­feld. „Na­tür­lich stand meine Fa­mi­lie hin­ter mir“, sagt er, „be­son­ders in der äl­te­ren Ge­ne­ra­ti­on fehl­ten aber teil­wei­se das Ver­ständ­nis – und die Vor­stel­lungs­kraft.“ Prio­ri­tät hatte den­noch die per­sön­li­che Mo­ti­va­ti­on: „Ich bin ja alt genug, um meine ei­ge­nen Ent­schei­dun­gen zu tref­fen“, sagt der 41-Jäh­ri­ge und lacht.

Dass er wäh­rend der ers­ten bei­den Se­mes­ter als Pro­be­stu­dent ein­ge­schrie­ben war, war zwi­schen ihm und sei­nen Mit­stu­die­ren­den üb­ri­gens kein Thema. „Ich habe mich nie als Stu­dent zwei­ter Klas­se ge­fühlt – ge­ra­de, weil ich ja auch ge­merkt habe, dass die an­de­ren mir nicht mei­len­weit da­von­zie­hen“, re­sü­miert Herr­mann. „Im Vor­feld hatte ich Angst, dass ich auf­grund mei­nes Al­ters Exot bin – aber die war un­be­grün­det, die Zu­sam­men­ar­beit war super.“ Klei­ne Un­ter­schie­de er­kennt er den­noch: „Ich habe schon das Ge­fühl, dass viele mei­ner Kom­mi­li­ton*innen eine schnel­le­re Auf­fas­sungs­ga­be haben, weil sie noch im Lern­mo­dus von der Schu­le sind – aber ich kom­pen­sie­re das, indem ich mich kon­se­quent hin­set­ze und lerne“, sagt er.

Rück­bli­ckend würde Herr­mann sich wie­der für das Pro­be­stu­di­um an der Fach­hoch­schu­le ent­schei­den – nur frü­her.

Auch nach sei­nem Mas­ter­ab­schluss möch­te der Wahl­kie­ler dem Nor­den treu blei­ben: „Es ge­fällt mir so gut hier am Meer. Ich bin wohl einer der we­ni­gen Stu­den­ten, die nach dem Ab­schluss nicht das Weite su­chen. Und man sagt ja, als In­for­ma­ti­ker fin­det man über­all einen Job – da bin ich also zu­ver­sicht­lich.“

© Fach­hoch­schu­le Kiel