Wer „Virtual Reality“ hört, denkt wahrscheinlich als Erstes an Gaming-Messen, wo Besucher*innen die neusten Trends der Branche testen. Medizinische Forschung hingegen würden die meisten womöglich nicht mit VR in Verbindung bringen. Der Student Tim Waldron zeigt jedoch, wie viel Potenzial in der Kombination aus beiden Bereichen steckt. Aktuell studiert der 29-jährige im Master Medienkonzeption an der FH Kiel und entwickelt im Rahmen seiner Thesis eine Virtual Reality-Anwendung, um mithilfe von Eye-Tracking einen Sehreflex bei Parkinsonpatienten zu untersuchen. Waldrons Projekt ist in diesem Jahr für den DIVR (Deutsches Institut für Virtual Reality) Science Award in der Kategorie „best impact“ nominiert.
„Gegen Ende des Bachelors habe ich mein Interesse für Virtual Reality entdeckt – das hat mich danach nicht mehr losgelassen“, berichtet Tim Waldron, der sich in seiner Bachelorarbeit zum Thema ‚Interaktivität in 360 Grad-Videos‘ bereits mit VR beschäftigte. Für diesen Bereich ist er daher auch als studentische Hilfskraft im Interdisziplinären Labor für Immersionsforschung (LINK) der FH Kiel zuständig. Jetzt will der Kieler mit englischen Wurzeln seine Begeisterung für Virtual Reality nutzen, um einen Beitrag zur Parkinsonforschung zu leisten. „Es gibt beim Menschen einen Reflex, der sich Vestibulookulärer Reflex nennt – kurz VOR. Der ist dafür zuständig, dass wir mit unseren Augen Sachen fokussieren können, wenn wir den Kopf drehen“, erklärt Waldron, „bei Parkinson-Patienten kommt es ab einem bestimmten Punkt häufig vor, dass dieser Reflex nicht mehr richtig funktioniert. In der Forschung gibt es die Vermutung, dass Erkrankte aus diesem Grund regelmäßig hinfallen.“ Auf einer Messe, die er mit dem LINK besuchte, lernte Tim Waldron Vertreter*innen des UKSH (Universitäts-Klinikum Schleswig-Holstein) kennen. „Wir kamen mit ihnen ins Gespräch und haben sie anschließend ins LINK eingeladen“, sagt der FH-Student. So entstand die Idee einer Zusammenarbeit mit der Neuro-Geriatrie des UKSH.
In der ersten Hälfte seiner Masterthesis erarbeitete Tim Waldron sich zunächst eine theoretische Grundlage: ‚Wie funktioniert Virtual Reality? Was sind die Stärken und Schwächen? Wie kann es in der Forschung genutzt werden?‘ Neben Literatur über VR musste er sich aber auch in medizinische Fachtexte einlesen. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man die Texte einfach ganz oft lesen muss. Irgendwann versteht man dann, was drinsteht“, berichtet er schmunzelnd. Dass Waldron innerhalb seiner Familie mit der neurologischen Erkrankung Parkinson Erfahrungen gemacht hat, gibt ihm zusätzlich Motivation: „Das ist einer der Gründe, warum mich das Projekt so interessiert.“
Für seine Arbeit nutzt Tim Waldron modernste Technologie. „Wir haben im Labor seit ungefähr einem Jahr eine neue VR-Brille, die HTC Vive Pro Eye“, erzählt er. Mithilfe des darin integrierten Eye-Trackers ist es Waldron möglich, den VOR im menschlichen Auge zu untersuchen. Die Software, welche er entwickelt, soll eine Basis für die Recherche und Untersuchung von Patient*innen mithilfe von Virtual Reality sein. Dadurch sollen Forscher*innen Ergebnisse und individuelle Daten dokumentieren, graphisch aufbereiten und mit Algorithmen auswerten können. Ziel sei es, das System so weit zu entwickeln, dass sich damit später einmal Tiefenforschung für Parkinson und möglicherweise auch andere Krankheiten betreiben lässt. „Wir machen so viel mit unseren Augen – ich kann mir vorstellen, dass neben Parkinson auch weitere Krankheiten durch Eye-Tracking untersucht werden können“, so Waldron. Die finale Einschätzung wolle er aber den Ärzt*innen überlassen, meint der Student. „Die wissen, was sie tun“, sagt er und lacht.
Wenn VR in der medizinischen Forschung langfristig Erfolg hat, könnten in Zukunft Therapiemethoden auf Grundlage der Technologie entwickelt werden. „Es ist ein Bereich, der im Moment noch relativ überschaubar ist, aber er hat ein unglaubliches Wachstumspotenzial, so wie ich das sehe“, bilanziert Tim Waldron. „Mein großer Traum ist, dass wir es schaffen, mit VR-Anwendungen globale Studien zu machen“, fügt er hinzu. So ließen sich riesige Datenpools sammeln, die deutlich aussagekräftigere Ergebnisse für die Forschung versprächen. Mit dem aktuellen Projekt legt Waldron eine erste Grundlage, um seine Vision zu erreichen. Das Ergebnis präsentiert er am 21. und 22. August beim DIVR Science Award in Gelsenkirchen-Ückendorf. Der Preis wird anlässlich des Places Festivals, Deutschlands erstem Festival für Virtual Reality, verliehen.
Durch die Nominierung hat Tim Waldron einen Fuß in der Tür seiner Wunschbranche. Beim DIVR Science Award kann er Kontakte knüpfen und die deutsche VR-Szene noch besser kennenlernen. „Meine große Hoffnung ist, dass ich in Forschung und Entwicklung im VR-Bereich einen Job finde.“ Ein Start-Up zu gründen könne er sich generell vorstellen, zunächst will Waldron allerdings Berufserfahrung in einem Unternehmen sammeln. Seine Begeisterung für VR wird ihn also auch in Zukunft wohl nicht mehr loslassen.