Ein Mann© Berg­ner

DIVR Sci­ence Award 2020: FH-Stu­dent in der Ka­te­go­rie „best im­pact“ no­mi­niert

von Len­nard Woro­bic

Wer „Vir­tu­al Rea­li­ty“ hört, denkt wahr­schein­lich als Ers­tes an Ga­ming-Mes­sen, wo Be­su­cher*innen die neus­ten Trends der Bran­che tes­ten. Me­di­zi­ni­sche For­schung hin­ge­gen wür­den die meis­ten wo­mög­lich nicht mit VR in Ver­bin­dung brin­gen. Der Stu­dent Tim Wald­ron zeigt je­doch, wie viel Po­ten­zi­al in der Kom­bi­na­ti­on aus bei­den Be­rei­chen steckt. Ak­tu­ell stu­diert der 29-jäh­ri­ge im Mas­ter Me­di­en­kon­zep­ti­on an der FH Kiel und ent­wi­ckelt im Rah­men sei­ner The­sis eine Vir­tu­al Rea­li­ty-An­wen­dung, um mit­hil­fe von Eye-Tracking einen Seh­re­flex bei Par­kin­son­pa­ti­en­ten zu un­ter­su­chen. Wald­rons Pro­jekt ist in die­sem Jahr für den DIVR (Deut­sches In­sti­tut für Vir­tu­al Rea­li­ty) Sci­ence Award in der Ka­te­go­rie „best im­pact“ no­mi­niert.

„Gegen Ende des Ba­che­lors habe ich mein In­ter­es­se für Vir­tu­al Rea­li­ty ent­deckt – das hat mich da­nach nicht mehr los­ge­las­sen“, be­rich­tet Tim Wald­ron, der sich in sei­ner Ba­che­lor­ar­beit zum Thema ‚In­ter­ak­ti­vi­tät in 360 Grad-Vi­de­os‘ be­reits mit VR be­schäf­tig­te. Für die­sen Be­reich ist er daher auch als stu­den­ti­sche Hilfs­kraft im In­ter­dis­zi­pli­nä­ren Labor für Im­mer­si­ons­for­schung (LINK) der FH Kiel zu­stän­dig. Jetzt will der Kie­ler mit eng­li­schen Wur­zeln seine Be­geis­te­rung für Vir­tu­al Rea­li­ty nut­zen, um einen Bei­trag zur Par­kin­son­for­schung zu leis­ten. „Es gibt beim Men­schen einen Re­flex, der sich Ves­ti­bu­loo­ku­lä­rer Re­flex nennt – kurz VOR. Der ist dafür zu­stän­dig, dass wir mit un­se­ren Augen Sa­chen fo­kus­sie­ren kön­nen, wenn wir den Kopf dre­hen“, er­klärt Wald­ron, „bei Par­kin­son-Pa­ti­en­ten kommt es ab einem be­stimm­ten Punkt häu­fig vor, dass die­ser Re­flex nicht mehr rich­tig funk­tio­niert. In der For­schung gibt es die Ver­mu­tung, dass Er­krank­te aus die­sem Grund re­gel­mä­ßig hin­fal­len.“ Auf einer Messe, die er mit dem LINK be­such­te, lern­te Tim Wald­ron Ver­tre­ter*innen des UKSH (Uni­ver­si­täts-Kli­ni­kum Schles­wig-Hol­stein) ken­nen. „Wir kamen mit ihnen ins Ge­spräch und haben sie an­schlie­ßend ins LINK ein­ge­la­den“, sagt der FH-Stu­dent. So ent­stand die Idee einer Zu­sam­men­ar­beit mit der Neuro-Ger­ia­trie des UKSH.

In der ers­ten Hälf­te sei­ner Mas­ter­the­sis er­ar­bei­te­te Tim Wald­ron sich zu­nächst eine theo­re­ti­sche Grund­la­ge: ‚Wie funk­tio­niert Vir­tu­al Rea­li­ty? Was sind die Stär­ken und Schwä­chen? Wie kann es in der For­schung ge­nutzt wer­den?‘ Neben Li­te­ra­tur über VR muss­te er sich aber auch in me­di­zi­ni­sche Fach­tex­te ein­le­sen. „Ich habe die Er­fah­rung ge­macht, dass man die Texte ein­fach ganz oft lesen muss. Ir­gend­wann ver­steht man dann, was drin­steht“, be­rich­tet er schmun­zelnd. Dass Wald­ron in­ner­halb sei­ner Fa­mi­lie mit der neu­ro­lo­gi­schen Er­kran­kung Par­kin­son Er­fah­run­gen ge­macht hat, gibt ihm zu­sätz­lich Mo­ti­va­ti­on: „Das ist einer der Grün­de, warum mich das Pro­jekt so in­ter­es­siert.“

Für seine Ar­beit nutzt Tim Wald­ron mo­derns­te Tech­no­lo­gie. „Wir haben im Labor seit un­ge­fähr einem Jahr eine neue VR-Bril­le, die HTC Vive Pro Eye“, er­zählt er. Mit­hil­fe des darin in­te­grier­ten Eye-Tra­ckers ist es Wald­ron mög­lich, den VOR im mensch­li­chen Auge zu un­ter­su­chen. Die Soft­ware, wel­che er ent­wi­ckelt, soll eine Basis für die Re­cher­che und Un­ter­su­chung von Pa­ti­ent*innen mit­hil­fe von Vir­tu­al Rea­li­ty sein. Da­durch sol­len For­scher*innen Er­geb­nis­se und in­di­vi­du­el­le Daten do­ku­men­tie­ren, gra­phisch auf­be­rei­ten und mit Al­go­rith­men aus­wer­ten kön­nen. Ziel sei es, das Sys­tem so weit zu ent­wi­ckeln, dass sich damit spä­ter ein­mal Tie­fen­for­schung für Par­kin­son und mög­li­cher­wei­se auch an­de­re Krank­hei­ten be­trei­ben lässt. „Wir ma­chen so viel mit un­se­ren Augen – ich kann mir vor­stel­len, dass neben Par­kin­son auch wei­te­re Krank­hei­ten durch Eye-Tracking un­ter­sucht wer­den kön­nen“, so Wald­ron. Die fi­na­le Ein­schät­zung wolle er aber den Ärzt*innen über­las­sen, meint der Stu­dent. „Die wis­sen, was sie tun“, sagt er und lacht.

Wenn VR in der me­di­zi­ni­schen For­schung lang­fris­tig Er­folg hat, könn­ten in Zu­kunft The­ra­pie­me­tho­den auf Grund­la­ge der Tech­no­lo­gie ent­wi­ckelt wer­den. „Es ist ein Be­reich, der im Mo­ment noch re­la­tiv über­schau­bar ist, aber er hat ein un­glaub­li­ches Wachs­tums­po­ten­zi­al, so wie ich das sehe“, bi­lan­ziert Tim Wald­ron. „Mein gro­ßer Traum ist, dass wir es schaf­fen, mit VR-An­wen­dun­gen glo­ba­le Stu­di­en zu ma­chen“, fügt er hinzu. So lie­ßen sich rie­si­ge Da­ten­pools sam­meln, die deut­lich aus­sa­ge­kräf­ti­ge­re Er­geb­nis­se für die For­schung ver­sprä­chen. Mit dem ak­tu­el­len Pro­jekt legt Wald­ron eine erste Grund­la­ge, um seine Vi­si­on zu er­rei­chen. Das Er­geb­nis prä­sen­tiert er am 21. und 22. Au­gust beim DIVR Sci­ence Award in Gel­sen­kir­chen-Ücken­dorf. Der Preis wird an­läss­lich des Pla­ces Fes­ti­vals, Deutsch­lands ers­tem Fes­ti­val für Vir­tu­al Rea­li­ty, ver­lie­hen.

Durch die No­mi­nie­rung hat Tim Wald­ron einen Fuß in der Tür sei­ner Wunsch­bran­che. Beim DIVR Sci­ence Award kann er Kon­tak­te knüp­fen und die deut­sche VR-Szene noch bes­ser ken­nen­ler­nen. „Meine große Hoff­nung ist, dass ich in For­schung und Ent­wick­lung im VR-Be­reich einen Job finde.“ Ein Start-Up zu grün­den könne er sich ge­ne­rell vor­stel­len, zu­nächst will Wald­ron al­ler­dings Be­rufs­er­fah­rung in einem Un­ter­neh­men sam­meln. Seine Be­geis­te­rung für VR wird ihn also auch in Zu­kunft wohl nicht mehr los­las­sen.

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