Für FH-Präsident Prof. Dr. Björn Christensen ist Digitalisierung ein Schlüssel, um die Hochschule langfristig zukunftsfähig aufzustellen. Entsprechend hat er das Präsidium um eine Position erweitert: Seit 1. September 2020 ist es die Aufgabe von Vizepräsident Prof. Dr.-Ing. Klaus Lebert, die Digitalisierung der Hochschule voranzutreiben. Im Gespräch mit Joachim Kläschen spricht er über seine Pläne.
Herr Lebert, Sie wurden als Vizepräsident wiedergewählt, allerdings wechseln Sie die Themen. Wie gestaltete sich der Übergang?
Bereits im Vorfeld gab es Gespräche mit Prof. Dr. Tobias Hochscherf und ich bin ihm sehr dankbar, dass er meine ehemaligen Themen – Forschung und Wissenstransfer, Gender und Diversity sowie Internationales – vollumfänglich und seit Tag eins übernommen hat. Ich habe dann im Hintergrund noch ab und zu meine Hilfe angeboten, aber inzwischen hat er das alles selber im Griff. (lacht) Es ist sehr wichtig, dass man eine Aufgabe, an der man lange gearbeitet hat, in guten Händen sieht. Dann kann man loslassen und sich voll auf Neues konzentrieren.
Wie wird man Vizepräsident Digitalisierung?
Da muss man wohl den Präsidenten fragen und die Hochschulmitglieder des Senats, die mich für eine weitere Amtszeit gewählt haben. (lacht) Ich denke schon, dass mein Hintergrund viel dazu beigetragen hat. Ich war acht Jahre in der Industrie tätig und habe da große IT-Projekte in Hardware und Software als Projektleiter betreut. Das waren Projekte, die sehr bestimmend für die Organisation waren. In den bisherigen sechs Jahren als Vizepräsident konnte ich wahnsinnig tiefe Einblicke in die Organisation der Hochschule nehmen. Schließlich habe ich auch ein etabliertes Netzwerk, was bei einem Thema wie Digitalisierung wichtig ist, weil es in allen Bereichen eine Rolle spielt. Also: Ich weiß, wie IT-Projekte funktionieren, ich weiß, wen ich fragen muss, und ich kann Leute miteinander zusammenbringen.
Was bedeutet der Begriff „Digitalisierung“ für Sie im Kontext der Hochschule?
Die Digitalisierung soll für die Menschen an unserer Hochschule da sein, nicht die Menschen für die einzelnen Programme. Was mich dabei immer schon beschäftigt hat, ist, dass wir als Fachhochschule von der Heterogenität unserer Studierenden leben – so studieren an unserer Hochschule Menschen in verschiedenen Altersgruppen, Nationalitäten und mit unterschiedlichen Bildungsbiografien. Mit Digitalisierung will ich der Heterogenität unserer Studierenden entgegenkommen und damit auch die Lehre verbessern und unterschiedliche Lernzugänge ermöglichen. All das unter der Überschrift: ‚Wir wollen unsere Studierenden zu einem erfolgreichen Abschluss führen.‘ Digitalisierung kann hier einen wichtigen Beitrag leisten und die Fachhochschule weiter nach vorne bringen.
Welche konkreten Projekte sollen hier für Verbesserungen sorgen?
Ein wichtiges Projekt ist das integrierte Campus-Management-System HISinOne, an dessen Einführung wir arbeiten. Mit HISinOne werden wir eine neue IT-Landschaft erhalten, die den kompletten ‚Student Life Cycle’ von der Einschreibung bis zum Examen abbildet. Die Studierenden erhalten mit HISinOne ein neues Portal, in dem sie dann auch mit mobilen Endgeräten alle Informationen abrufen können, die sie benötigen.
Wie wirkt sich die Einführung einer so umfassenden Lösung auf die Verwaltung aus?
Wenn man ein neues Werkzeug einführt, dann führt man damit auch Regeln ein, wie mit diesem Werkzeug gearbeitet werden muss. Da gibt es dann keine Grauzonen mehr, in denen man schnell mal zum Hörer greift, sondern es muss prozesskonform gearbeitet werden. Das schafft Transparenz und Verlässlichkeit für alle Hochschulangehörigen. So hat die Einführung von HISinOne dann auch vielfältige Auswirkungen auf Verwaltungsprozesse und die Organisationsentwicklung innerhalb der Hochschule. Das zeigt aber auch wieder, dass das Thema Digitalisierung nicht bedeutet ‚Ich stelle da mal eine IT-Infrastruktur hin‘, sondern ich muss immer auch die Organisation mit auf den Weg nehmen.
Welche weiteren Aspekte und Fragestellungen betrifft Digitalisierung an der Hochschule?
Neben der Herausforderung Prozessorganisation stellen wir uns die Frage, wie wir durch Digitalisierung und die Einführung neuer Werkzeuge Lehr-/ Lern-Prozesse unterstützen und begleiten können. Insbesondere betrifft das die Online-Lehre. Welche Konferenz-Software sollen wir nutzen? Wie entwickeln wir die Plattform ‚Moodle‘ weiter? Wie gehen wir mit E-Prüfungen um? Das alles sind Fragen, die durch die gegenwärtige Corona-Situation noch weiter an Bedeutung gewonnen haben. Und wir versuchen, möglichst viel von dem, was während der Pandemie geklappt hat, zu übertragen in den normalen Lehr-/Lern-Betrieb, der aber deutlich anders aussehen wird, als vor der Pandemie. Aber… Praxis hat bei uns ja einen sehr hohen Stellenwert, und daher können wir nicht alles digitalisieren. Gesprächsführung im Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit, der Filmdreh am Fachbereich Medien oder der Kontakt mit einer großen Maschine – all das geht nicht ohne Interaktion, nicht ohne Präsenz.
Welche Auswirkungen hatte die Pandemie auf die Lehr-/Lern-Prozesse?
Vor der Pandemie war der Unterricht in Präsenz gesetzt, seit Mitte März 2020 erleben wir das andere Extrem, und Online ist gesetzt. Die aktuelle Diskussion darüber, was funktioniert und was nicht, wird uns in jedem Fall weiterbringen. Vielen Lehrenden hat Corona gezeigt, dass sich Präsenzinhalte virtualisieren lassen. Die Studierenden haben viel über sich und ihr Lernverhalten erfahren. Das ist wieder ein Beispiel für die angesprochene Heterogenität, der wir gerecht werden wollen. Einige erfahren vielleicht, dass sie viel besser in der Stille und zu einer selbst bestimmten Zeit arbeiten können, anderen wird klar, dass sie nur in der Gruppe mit anderen lernen können, weil sie Dinge sonst nicht verstehen und feste Strukturen benötigen. Meine Vision ist, dass wir für unsere Studierenden unterschiedliche Lernzugänge ermöglichen, sodass wir unser Ziel erreichen, so viele wie möglich von ihnen zum Abschluss zu führen.
Gibt es Beispiele für positive Auswirkungen der Pandemie auf Lehr-/Lern-Prozesse?
Was sich bewährt hat, sind Video-Aufzeichnungen und eigens produzierte Lehrvideos. Die Studierenden können Inhalte asynchron abrufen oder sie sich mehrfach ansehen, wenn sie etwas nicht verstanden haben. Aber da sind wir noch am Anfang, denn es ist eben nur eine Aufzeichnung. Niemand sieht sich gerne eine anderthalb Stunden lange Aufzeichnung einer Vorlesung an. Wir brauchen da Inhaltsverzeichnisse und Sprungmarken, damit man sich Inhalte gezielt ansehen kann und nicht suchen muss. Gerade führen wir dazu unser neues Videoportal ein, in dem die Lehrenden Lehrvideos erstellen, bearbeiten und in einem geschützten Raum veröffentlichen können. Aber: Das Werkzeug kann nur unterstützen. Die Lehrenden müssen ihre Vorlesungen klar strukturieren, damit die Aufzeichnungen effektiv nutzbar werden. Digitalisierung ist eben eine Querschnittsaufgabe.
Gibt es weitere Schwerpunkte Ihrer Digitalisierungsstrategie?
Neben dem Überarbeiten unserer internen Prozesse und der Verbesserung von Lernen und Lehre ist eine dritte Säule der Digitalisierung für mich Verlässlichkeit. Wir müssen Werkzeuge anbieten, auf die sich die Nutzerinnen und Nutzer verlassen können und die keinen zusätzlichen Stress verursachen und so die Qualität mindern. Wenn wir neue Werkzeuge einführen, müssen Sie mit dem entsprechenden Support hinterlegt sein. Das können Ansprechpersonen sein oder erklärende Moodle-Kurse, die viel Zuspruch gefunden haben. Hier entsteht gerade ein ganz toller Dialog, aus dem Best-Practice-Szenarien hervorgehen. Aber: Auch hier ist es wieder eine Querschnittsaufgabe, wenn unterschiedliche Werkzeuge miteinander in Einklang zu bringen sind.
Welche Lösungen sollen zum Einsatz kommen?
Wir haben in der Vergangenheit auch selbst entwickelte Werkzeuge eingesetzt. Die Moduldatenbank ist dafür ein Beispiel. Allerdings sind wir keine Werkzeugmacher, das ist nicht unsere Kernkompetenz. Aber diese Prototypen helfen uns, immer besser zu verstehen, was wir wollen und benötigen. Ziel muss es aber sein, für diese Aufgaben professionelle Best-InClass Lösungen zu finden und einzuführen: das meint einfach zu bedienende und verlässliche Werkzeuge für bestimmte Anwendungsfälle. Jedes Werkzeug braucht eine klare Überschrift.
Welche Herausforderungen stellen sich bei der Einführung neuer Werkzeuge?
Das Gute an professionellen Werkzeugen ist, dass diese Erfahrungen unterschiedlicher Gruppen von Nutzerinnen und Nutzern abbilden und von denen wir profitieren. Beispielsweise sind bei HISinOne Referenzprozesse hinterlegt, die sich an den üblichen Verfahren in der deutschen Hochschullandschaft orientieren. Wir vergleichen dann unser eigenes Tun mit den Vorgaben des Referenzprozesses und müssen bei jeder Abweichung oder Lücke entscheiden, ob wir an bestehenden Verfahren festhalten oder unsere Verfahren auf den Referenzprozess hin anpassen. Entsprechend wird sich in den kommenden fünf Jahren hinter den Kulissen viel verändern. Die Überarbeitung der Prozesse muss immer mit einer Reflexion des eigenen Handelns einhergehen und wir müssen uns die Fragen stellen, warum wir so handeln, wie wir handeln – und ob andere Handlungen nicht Vereinfachungen mit sich bringen. Das ist ein intensiver und aufwändiger Organisations-Entwicklungsprozess, und ich bin sehr dankbar, bei meiner gesamten Arbeit auf die Hilfe und das Engagement von vielen Teams – der Campus IT, dem HisInOne-Projektteam, dem Zentrum für Lernen und Lehrentwicklung und dem Team Medientechnik – zurückgreifen zu können. Ohne diese Unterstützung würde sich nur wenig bewegen.
Welche positiven Effekte bieten solche tiefgreifenden Veränderungen der Prozesse?
Eine wesentliche Aufgabe unserer Verwaltung ist es, 8.000 Studierende durch den Student-Life-Cycle zu führen, damit der Hochschulbetrieb überhaupt funktionieren kann. Allerdings sind die Strukturen, in denen das abläuft, historisch gewachsen und berücksichtigen viele Einzelfalllösungen. Festgelegte Prozesse werden dabei helfen, große Mengen ähnlicher Anfragen und Aufgaben schneller zu bewegen. Durch diese effektive Bearbeitung von Standards bleibt am Ende hoffentlich mehr Zeit, um sich um Einzelfälle zu kümmern. In der Verwaltung werden so Kompetenzen nutzbar, die bislang unter Routineaufgaben begraben wurden. Am Ende profitieren Mitarbeitende und Studierende.
Sehen Sie die Digitalisierung der Hochschule als isoliertes Projekt oder in einem weiteren Kontext?
Mir liegt viel an einer externen Vernetzung der Hochschule und der Frage, wo es strategisch hingeht. Ich glaube, wir brauchen vor allem im IT-Umfeld viel mehr hochschulübergreifende Zusammenarbeit in Schleswig-Holstein. Beispielsweise ist die IT-Mannschaft der Hochschule schon jetzt gut beschäftigt (lacht), und die Zahl der Aufgaben nimmt absehbar zu. Wir sind mittlerweile an einem Punkt angelangt, wo es einfach nicht mehr sinnvoll ist, alles selbst zu machen, nur, weil man es selber machen könnte. Im Gegenteil, ich bin mittlerweile dankbar für jede Lösung, die mir ein anderer Anbieter hostet. Ein gutes Beispiel dafür ist die Einführung der hochschulweiten Cloud-Lösung. Statt eigenes Personal einzusetzen und die Ressourcen zahlreicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu binden, setzen wir auf eine Kooperation mit dem Deutschen Forschungsnetzwerk und der TU Berlin. Die stellt uns die Ressourcen für die DFN-Cloud zu guten Konditionen zur Verfügung, und wir müssen uns nur noch um die Verwaltung der Nutzerinnen und Nutzer kümmern. So binden wir hier nur begrenzte Ressourcen und können uns eigenen Herausforderungen widmen.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Lebert