Prof. Dr. Doris Weßels wurde erneut im Amt der stellvertretenden Vorsitzenden des Vereins Digitale Wirtschaft Schleswig-Holstein (DiWiSH) bestätigt. Im Interview blickt sie auf die Arbeit des Vereins in den vergangenen 24 Monaten zurück und wagt einen Ausblick in die nahe Zukunft.
Frau Weßels, wie würden Sie die Entwicklung der DiWiSH in der zurückliegenden Amtszeit beschreiben?
Die Entwicklung in den letzten beiden Jahren ist aus meiner Sicht sehr positiv zu bewerten. Wir konnten unsere Mitgliederzahl (aktuell 245 Unternehmen und Organisationen aus SH) kontinuierlich steigern und gelten als ein „Cluster mit Vorbildfunktion“, so die Aussage unserer Staatssekretärin Julia Carstens aus dem Wirtschaftsministerium bei unserer letzten Mitgliederversammlung. Diese Aussage hat uns natürlich sehr gefreut!
Konnte die Digitalisierung im Land weiter vorangetrieben werden?
Wir haben seit einiger Zeit regelmäßige Austauschformate mit unseren Ministerien im Land, so z.B. mit dem Digitalisierungs-, Wirtschafts- und Bildungsministerium. Wir arbeiten auch mit an Kommentierungen zu Gesetzes- und Programmentwürfen und unterstützen auf diese Weise unsere Landesregierung. Das ist ein Ergebnis unserer zunehmenden Sichtbarkeit im Land und hat sich in den letzten Jahren durch die sehr engagierte Arbeit unseres Clusterteams und der DiWiSH-Vorstände kontinuierlich verbessert.
Inwieweit hat Corona die Bemühungen befördert?
Corona war in der Tat ein wichtiger Treiber für Digitalisierung, hat zugleich aber auch den Finger in die Wunde gelegt bei vielen Versäumnissen aus der Vergangenheit. Wir wissen, dass wir in Deutschland die Aufholjagd starten müssen. Diesen Willen zur Veränderung nehmen wir auch wahr, siehe die neue Taskforce zur „Digitalisierungsbeschleunigung“ in SH. Von daher war die Corona-Krise auch eine große Chance für die Zukunftsfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft und hat darüber hinaus den Bildungsbereich und digitale Lehr- und Lernformen maßgeblich weiterentwickelt. Wir müssen allerdings aufpassen, den „Drive“ nicht zu verlieren.
Wie bewerten Sie den Stand der Digitalisierung in Schleswig-Holstein? Wo steht das Land zwischen den Meeren im Vergleich zu anderen Bundesländern?
Die „Digitalisierung“ in Summe für ein ganzes Bundesland wie Schleswig-Holstein zu bewerten, fällt mir sehr schwer, weil Digitalisierung wie eine Basis- oder auch Querschnittstechnologie nahezu überall mit enthalten ist. Was mich aber immer wieder freut, ist zu sehen, mit welchem Elan unsere Landesregierung und hier insbesondere unser Digitalisierungsminister Dirk Schrödter, der zugleich unser DiWiSH-Beiratsvorsitzender ist, das Thema mit seinem Team persönlich vorantreibt und fördert.
Was sind die größten Erfolge in der jüngsten Zeit?
Wir haben im Bereich der Informatikausbildung an Schulen sichtbare Fortschritte erzielt, obgleich wir hier mehr Tempo benötigen, und das meint insbesondere die Steigerung der Absolvent*innen-Zahl aus dem Lehramtsstudium der Informatik, um qualifizierten Informatikunterricht anbieten zu können.
Das Bewusstsein für die digitale Bildung in der Schulwelt in SH ist glücklicherweise in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Wir verdanken meiner Vorstandskollegin Britta Brechtel die Kooperation mit der Wissensfabrik hier in SH – ein tolles Projekt mit viel Potenzial für die Schulen im Land.
Mit Stolz erfüllt uns natürlich auch, dass wir aus unserer DiWiSH-Frauengruppe Women@DiWiSH im Verbund mit vielen anderen Frauen und ihren Netzwerken mit unserer Frauen-Konferenz Tech&Taff ein neues Konferenzformat etablieren konnten, was sich von Jahr zu Jahr so positiv entwickelt.
Positiv bewerte ich auch die Entwicklung der Startup-Szene in Schleswig-Holstein, bei der unsere FH-Studierende und auch Absolvent*innen eine wichtige Rolle spielen. Es freut mich sehr, dass die Fachhochschule Kiel in den letzten Jahren die Gründungsförderung an vielen Stellen gestärkt hat. Diese positive Entwicklung ist immer sehr gut sichtbar beim waterkant-Festival, bei dem ich immer wieder auf erfolgreiche Gründer*innenteams aus dem FH-Umfeld treffe.
In vielen Branchen im Norden fehlt es an Fachkräften, auch der IT. Konnte der Verein hier zu einer Verbesserung der Lage beitragen?
Wir bemühen uns nach Kräften. Ich bin überzeugt, dass kontinuierliche Aufklärungs- und Nachwuchsarbeit Früchte tragen wird. Dazu gehört auch, junge Frauen auf die attraktiven beruflichen Perspektiven in der Digitalwirtschaft hinzuweisen. Großartig war die Kampagne Women@Tech, die von unserem Cluster-Manager Dr. Johannes Ripken und meiner Vorstandskollegin Regine Schlicht sowie weiteren Mitstreiter*innen mit sehr viel Engagement durchgeführt wurde. Im Rahmen dieser Kampagne haben wir im Zeitraum von September 2021 bis Mai 2022 in Summe 32 Expertinnen aus Schleswig-Holstein, die in Digitalberufen tätig sind, per Website, Social Media und Newsletter vorgestellt und sichtbar gemacht.
Gibt es eine Zusammenarbeit der Hochschulen mit der DiWiSH? Wenn ja, wie sieht sie aus?
Die Schnittstelle Wirtschaft-Wissenschaft und der damit verbundene Transfer gehören zu den Schwerpunkten meines Vorstandsressorts. Aus meiner Sicht ist der Austausch zwischen Wirtschafts- und Hochschulvertreter*innen vielfach sehr intensiv und vertrauensvoll aufgrund langjähriger Verbindungen und geht über die Planung und Durchführung gemeinsamer Veranstaltungsangebote deutlich hinaus. Ich habe z.B. im Rahmen meines Mastermoduls KI und Ethik mehrfach die Chance genutzt – und plane es auch für das kommende Jahr, zusammen mit den Studierenden die Semesterarbeiten im Rahmen einer Kooperationsveranstaltung mit der DiWiSH-KI-Fachgruppe zu präsentieren. Über derartige Transferaktivitäten entstehen neue Netzwerke, Ideen für gemeinsame Forschungsanträge, Kooperationsprojekte u.ä. bis hin zu neuen Modulangeboten für uns an den Hochschulen.
Was ist Ihre Motivation zur Mitarbeit an der Spitze der DiWiSH?
Ich finde es eigentlich selbstverständlich, dass ich mich als Wirtschaftsinformatik-Professorin an einer staatlichen Hochschule für angewandte Wissenschaften beim Cluster „Digitale Wirtschaft Schleswig-Holstein“ engagiere. Mich freut es z.B. immer wieder sehr, wenn ich dort auf ehemalige Kolleg*innen aus früheren Unternehmen oder Studierende treffe, wir Synergien entdecken und unsere Ideen auch gleich gemeinsam umsetzen können.
Unser toller DiWiSH-Team-Spirit ist natürlich auch ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Dazu muss man wissen, dass wir als DiWiSH-Vorstandsmitglieder alle ehrenamtlich tätig sind und uns somit „on top“ zu unseren unterschiedlichen Jobs engagieren. Ohne Spaß, Schaffensfreude und das Gefühl von Wirksamkeit würde es ganz bestimmt nicht funktionieren.
Welche Themen stehen für die kommenden zwei Jahre auf der Agenda?
Wir haben in unserer Strategie seit 2021 den Fokus auf vier Handlungsfelder gelegt: Fachkräfte sichern und Kompetenzen sowie Wirtschaft in der digitalen Transformation weiterentwickeln, Sichtbarkeit der Digitalwirtschaft in Schleswig-Holstein stärken und Aspekte der digitalen Ethik und Nachhaltigkeit unterstützen.
Die höchste Priorität wird nach meiner Einschätzung das Thema Fachkräfte haben. Wir brauchen neue und kluge Konzepte, um diese Herausforderung zu bewältigen. Der Mangel an IT-Expert*innen darf die wirtschaftliche Entwicklung nicht ausbremsen. Das Thema Fachkräfte fängt letztlich schon in der Schule an. Dort legen wir bei den Schülern und Schülerinnen die Grundlagen für das Interesse an Themen. In diesem Kontext ist die kontinuierliche Qualifikation der Lehrkräfte von besonderer Bedeutung. Von daher sind unsere Angebote zur Unterstützung der Lehramtsaus- und -weiterbildung sehr wichtig. Die Intensivierung der Zusammenarbeit mit den Schulen, spezifischen Initiativen wie z.B. der Wissensfabrik und dem Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein wird für uns ein wichtiges Thema der nächsten Amtsperiode sein.
Eine zunehmend höhere Relevanz bekommt auch das schnelle Erkennen neuer IT-Trends und Zukunftsthemen, um möglichst früh die Chancen dieser Trends aufgreifen und nutzen zu können – auch in Bezug auf neue Tätigkeitsfelder, Rollen und Jobprofile. Das ist natürlich auch für uns an den Hochschulen von grundlegender Bedeutung, wenn wir zukunftsorientierte Qualifizierung anbieten wollen. Nach meiner Einschätzung wird das Themenfeld der „Künstlichen Intelligenz“ in Verbindung mit den ethischen Fragestellungen weiter boomen – für mich speziell die generativen KI-Modelle (für Text, Bild, Video, Musik usw.), die bereits heute ein Game Changer in vielen Bereichen sind.