Wissenstransfer: Praxis trifft High Potentials der FH Kiel
Gastbeitrag von Prof. Dr. Klaus Dieter Lorenzen
Industrie 4.0, Digitalisierung und andere „4.0 Schlagworte“ sind in aller Munde. Doch was verbirgt sich dahinter und was nützt wie der Praxis? Zu einem sehr intensiven Gedankenaustausch über diese Fragen trafen sich auf Einladung der Professoren Peter Franke und Klaus Dieter Lorenzen (beide vom Institut für Supply Chain und Operations Management der FH Kiel) rund 40 Einkaufs- und Logistikexperten. Acht Studierende der FH Kiel präsentierten im Rahmen des 14. Studentischen Symposiums ihre Arbeitsergebnisse, und stellten sich dem kritischen Dialog mit der Praxis.
Smarte Produkte, Mobile Computing, Apps, Internet der Dinge, Cyber-Physical-Systems und das Verschmelzen der realen und digitalen Welt kennzeichnen Trends, die die aktuelle Diskussion prägen. Die Nachwuchs-Manager, die sich in ihrem bald zu Ende gehenden BWL-Studium auf Supply Chain Management spezialisieren, ließen die teilweise abstrakten Visionen aber schnell hinter sich und konzentrierten sich auf ausgewählte Fragestellungen, die auch für kleine und mittelständische Unternehmen relevant sind. Neben der Automatisierung der Lager- und Transportprozesse beleuchteten sie auch die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Lieferantenintegration und die Zukunft der Arbeit in den Bereichen Einkauf und Logistik.
Werden in absehbarer Zeit Roboter die Einkäuferin / den Einkäufer ersetzen? Im operativen Einkauf ist heute schon zu beobachten, dass sich Bestellprozesse automatisiert von IT-Systemen abwickeln lassen. Aber wie sieht es mit kreativen Prozessen im strategischen Einkauf aus? Ersetzen Systeme mit künstlicher Intelligenz, die nicht auf Intuition vertrauen, sondern Entscheidungen auf Basis fundierter Analysen von „Big Data“ treffen, den Menschen? Mittelfristig konnten sich dies weder die Studierenden noch die geladenen Experten vorstellen. Langfristig, so die einhellige Meinung, ist dies aber ein realistisches Szenario. Prof. Franke zog einen Vergleich zur Medizin: „Heute vertrauen wir als Patienten der Erfahrung eines Arztes. Warum sollten wir nicht zukünftig auf das elektronisch verfügbare Erfahrungswissen von hunderten Ärzten zugreifen können?“
Die Arbeit der Zukunft wird durch stärker digitalisierte Informationsprozesse verändert sein. Dies wird im Einkauf u.a. dazu führen, dass Arbeitsplätze räumlich und zeitlich flexibler gestaltet werden können, Arbeitsinhalte sich verändern und eine stärkere, gegebenenfalls Realtime-Vernetzung verschiedener, auch global und unternehmensübergreifend verteilter Arbeitsplätze erfolgen kann. Daraus resultieren, so Merle Hamann und Janne Tremp, ganz neue Anforderungen an die „Work Skills“ der Beschäftigten.
Die Lieferantenintegration wird über heute bekannte Konzepte, wie zum Beispiel Vendor Managed Inventory oder Lieferanten-Kanban, hinausgehen und, so führten Fabian Petersen und Felix Sander aus, neue Formen der elektronischen Kollaboration kennen: Gesprächspartner „reisen“ digital und nehmen als Hologramm an Besprechungen teil. Lieferanten werden intensiver in Entwicklungsprojekte einbezogen und können mithilfe von Virtual Reality ihre Ideen und Kompetenzen verdeutlichen. Die Informationsbeschaffung wird im strategischen Einkauf erleichtert werden, da die Informationsflut zum Beispiel bei der Beschaffungsmarktforschung oder der Lieferantenbewertung von digitalen Assistenzsystemen bewältigt werden wird.
Im Bereich der Transportprozesse erwarten Martin Beckmann und Franziska Pooch einen deutlichen Trend zur Automatisierung. Erste Studien zum autonomen Fahren von LKWs beweisen die Machbarkeit. Für die Auslieferung von Sendungen auf der „Last Mile“ existieren mehrere Beispiele dafür, wie dies mit Drohnen oder autonomen Fahrzeugen realisiert werden kann. Bis dies aber in größerem Umfang umgesetzt sein wird, sind noch verschiedene technische und rechtliche Herausforderungen zu bewältigen. Demgegenüber schreitet die Digitalisierung der den Transportprozess begleitenden Informationsprozesse einfacher und schneller voran. Wie die Studierenden zeigten, können mithilfe von RFID-Technologie und Telematik-Systemen die Transportprozesse transparenter und damit sicherer und wirtschaftlicher gestaltet werden. So können zum Beispiel mit Hilfe vorauseilender Informationen aus dem Fahrzeug Bearbeitungsprozesse im anzufahrenden Lager vorbereitet werden.
Im vollautomatischen Lager können danach alle Prozesse ohne den Einsatz von Menschen stattfinden. Für die Entladung der Fahrzeuge, die Wareneingangsbearbeitung, die innerbetrieblichen Transporte, das Kommissionieren, die Vorbereitung für den Versand, die Warenausgangsbearbeitung und abschließend die Beladung der Fahrzeuge stehen schon heute Automatisierungstechniken zur Verfügung. Kevin Becker und Oke Staats zeigten auf, wie mithilfe modularer, autonomer Lagertransportsysteme, neuer Sensorik und neuen Steuerungskonzepten (Schwarmintelligenz) die nächste Stufe der Lagerautomatisierung gestaltet werden kann.
Die Studierenden banden die Zuhörer während ihres Vortrages in mehrere Workshop-Phasen ein, die eine ausgezeichnete Möglichkeit zum Gedankenaustausch boten. Sehr interessant ist ein „Blitzlicht“ – die Ergebnisse einer Kurzbefragung, die die Studierenden durchführten: Befragt nach den wichtigsten Chancen der Digitalisierung nannten die Praxisvertreter mit deutlichem Abstand die „Kostenreduzierung“ gefolgt von „schnelle Reaktion auf Veränderungen“. Bei den Risiken stand aus Expertensicht die „Systemabhängigkeit“ an erster Stelle gefolgt von „der Überforderung der Beschäftigten/der Kulturwandel“ als zweitwichtigstes Risiko.
Die Abschlussdiskussion griff die Frage nach den nächsten Schritten zur Umsetzung auf. Aus Sicht der Studierenden lässt sich aber keine allgemeingültige Vorgehensweise und Handlungsempfehlung formulieren. Dazu sind die Rahmenbedingungen in den Unternehmen zu unterschiedlich und die verfolgten Ziele zu vielfältig. Vor dem Hintergrund, dass Digitalisierung kein neues sondern ein mehr als 50 Jahre altes Thema ist, empfiehlt deshalb Prof. Lorenzen, „dass sich die Unternehmen weniger aufgeregt und mit Augenmaß mit der Digitalisierung beschäftigen und genau prüfen, welches ‚technische Spielzeug‘ tatsächlich einen Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten kann.“ Zu groß ist die Gefahr, dass der 4.0-Hype gute Ideen zu früh sterben lässt, weil unrealistische Erwartungen nicht erfüllt werden können.
Das nächste, dann 15. Studentische Symposium wird voraussichtlich im Januar 2018 stattfinden und ein aktuelles Thema aus dem Supply Chain Management in den Mittelpunkt stellen. Bis dahin wird im Rahmen anderer Formate, zum Beispiel dem Norddeutschen Einkaufstag am 13.06.2017, der Knowhow-Transfer zwischen der FH Kiel und der Praxis gepflegt (Weiter Informationen unter www.FH-Kiel.de/EINKAUF, bei Prof. Lorenzen, Mail: Klaus.Lorenzen@FH-Kiel.de und bei Prof. Franke, Mail Peter.Franke@FH-Kiel.de).
Fotos Klaus Dieter Lorenzen