Prof. Dr. Björn Christensen hat mit einem Team Studien zu den Folgen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt untersucht. Über die Ergebnisse sprach er mit der viel.-Redaktion.
Herr Christensen, kürzlich wurden Sie deutschlandweit in Medien mit der Aussage zitiert, die Digitalisierung sei kein Jobkiller. Worauf stützt sich Ihre Einschätzung?
Im Rahmen des Drittmittelprojekts „Kompetenzzentrum für Fachkräftesicherung und Weiterbildung“ (KoFW) haben meine Mitarbeiter*innen und ich eine Literaturstudie vorgenommen, in deren Rahmen wir untersucht haben, welches die Annahmen von Berechnungen zu den Folgewirkungen der Digitalisierung auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland sind. Diese Annahmen haben wir kritisch hinterfragt.
Es hat sich dabei gezeigt, dass zum einen häufig nur die möglichen Jobverluste ausgewiesen wurden, nicht aber die Jobgewinne, die sich durch neue Tätigkeiten ergeben könnten. Zum anderen wurden häufig technisch mögliche Substitutionseffekte durch die Digitalisierung dargestellt, die sich aber beispielsweise betriebswirtschaftlich gar nicht lohnend umsetzen lassen. Sofern es Studien zu den Nettoeffekten gibt, zeigen diese, dass bei gegebenen positiven Rahmenbedingungen nicht mit Jobverlusten, sondern gegebenenfalls sogar mit leichten Jobgewinnen durch die Digitalisierung zu rechnen ist.
Was heißt das konkret für Schleswig-Holstein?
Schleswig-Holstein muss die Digitalisierung nicht grundsätzlich fürchten, sofern wir uns dem Thema nicht verschließen. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, kann auch Schleswig-Holstein von der Digitalisierung profitieren.
Wie muss das Land die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft verändern?
Zum einen müssen die technischen Voraussetzungen der Digitalisierung erfüllt werden, also zum Beispiel muss es flächendeckend einen Breitbandausbau geben. Zum anderen muss das gesamte Bildungssystem auf Inhalte der Digitalisierung vorbereiten. Dies gilt sowohl in der Erstausbildung, aber insbesondere auch in der Weiterbildung. Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass keine Jobverluste nicht bedeutet, dass es nicht trotzdem große Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt geben dürfte. Denn insbesondere einfache Routinetätigkeiten dürften zukünftig verstärkt durch intelligente Maschinen substituiert werden, d.h. es wird zu Verteilungseffekten auf dem Arbeitsmarkt kommen. Gerade Personen mit geringer Qualifikation werden also zunehmend vor Herausforderungen stehen. Denen muss man die Möglichkeit geben, sich durch Weiterbildung zu qualifizieren, um ebenfalls von der Digitalisierung zu profitieren.
Wie sollten Unternehmen an die Digitalisierung herangehen?
In erster Linie sollten sich Unternehmen nicht pauschal vor der Digitalisierung verschließen. Um im Wettbewerb bestehen zu können, sollten entsprechende Kompetenzen aufgebaut und Investitionen vorgenommen werden.
Was kann die einzelne Arbeitnehmerin oder der einzelne Arbeitnehmer mit Blick auf die Digitalisierung tun?
Sowohl in der Erstausbildung, aber insbesondere auch im Laufe des Erwerbslebens sollten Kompetenzen aufgebaut werden, mit denen man sich flexibel den Herausforderungen der Digitalisierung stellen kann. Das Thema des Lebenslangen Lernens wird mit Sicherheit an Bedeutung gewinnen.
Welche Rolle spielt die Digitalisierung in Ihrem Alltag?
Insbesondere in meinem Fach „Statistik“ haben sich die Anforderungen in den letzten Jahren dramatisch verändert. Früher war eines der Haupteinsatzgebiete der Statistik die Beschreibung kleinerer Datensätze. Heute gibt es massenweise sehr große Datensätze, die für intelligente Einsatzmöglichkeiten genutzt werden. Der Umgang mit diesen großen Datensätzen stellt heute IT-technisch auch für den Echtzeiteinsatz keine Herausforderung mehr dar. Viel mehr geht es darum, die Einsatzmöglichkeiten zu erkennen und zu nutzen. Dies erfordert ein ganz neues „Denken in Daten“.
Was raten Sie Studierenden mit Blick auf dieses Thema?
Studierende sollten mit Offenheit an das Thema herangehen, gleichzeitig aber auch Einsatzmöglichkeiten kritisch vor den möglichen Folgewirkungen hinterfragen. Ethische Fragen in diesem Feld werden in den nächsten Jahren mit Sicherheit bedeutsamer.
Susanne Meise