Nachdem ihre Tochter an einer Krebserkrankung starb, bekommt eine Frau die Möglichkeit, sie ein letztes Mal zu treffen, anzufassen und sich sogar mit ihr zu unterhalten – alles mithilfe von Virtual Reality. Was schon fast nach einer Szene aus der Science Fiction-Serie „Black Mirror“ klingt, ist in Süd-Korea im vergangenen Jahr zur Realität geworden. Auch in anderen Ländern werden vermehrt Angebote für diese spezielle Art der Trauerbewältigung entwickelt. Diese sind zwar äußerst kostspielig und somit bisher nur wenigen Leuten zugänglich, eine Zukunftsvision ist das Konzept jedoch nicht mehr. Das Angebot wirft jedoch viele ethische Fragen auf: Wann lebt jemand tatsächlich weiter? Wer entscheidet, was mit den Daten passiert? Und gelten in diesem Fall Menschenrechte oder Datenrechte?
Gemeinsam mit einem Kommilitonen befasste sich die Studentin Marie-Lotta Karcher mit dem Thema der digitalen Unsterblichkeit in einer Hausarbeit im Modul Künstliche Intelligenz und Ethik. „Da gibt es einmal diese Zukunftsvision davon, dass irgendwann menschliches Bewusstsein auf digitalen Endgeräten gespeichert werden kann, und wir mit unserem Bewusstsein digital weiterleben“, erklärt die Masterstudentin. „Das gibt es natürlich noch nicht, aber es gibt erste Schritte in diese Richtung in der Form, dass es quasi Kopien von verstorbenen Menschen gibt.“ Fast jeder von uns hinterlässt heutzutage Daten im Internet, die, auch wenn wir nicht mehr leben, weiterexistieren. Wenn diese Daten nun gesammelt werden, kann man einer künstlichen Intelligenz mittlerweile antrainieren, sich wie die Person zu verhalten, zu der die Daten gehörten. Beispielsweise in Form eines Chatbots: „Das ist, als würde man bei Whatsapp einfach weiterschreiben mit jemanden, der aber schon verstorben ist. Und diese Person bzw. der Chatbot reagiert so, wie der Verstorbene reagiert hätte. Das ist mittlerweile täuschend echt möglich.“
Im Rahmen ihrer Hausarbeit führten Marie Lotta und ihr Kommilitone zudem qualitative Interviews mit Bestatter*innen, die sich geschlossen kritisch zu dem Thema äußerten: „Die Bestatter*innen haben natürlich ganz viel mit Menschen zu tun, die trauern. Als wir ihnen die KI-Anwendungen als eine Art der Trauerbewältigung vorschlugen, waren sie sehr ablehnend. In ihren Augen verlangsamt es den Trauerprozess und verhindert, dass Menschen damit abschließen können, wenn jemand gestorben ist“, so Marie-Lotta. Auf der anderen Seite könnten sich einige von ihnen aber vorstellen, die Anwendungen gezielt und unter psychologischer Betreuung einzusetzen. „Beispielsweise, wenn es darum geht, Abschied zu nehmen von einer Person, die vielleicht verschollen ist, und man nie jemanden begraben konnte. Dann kann es tatsächlich sinnvoll sein, einmal einen Abschiedsmoment zu kreieren“, gibt die Studentin die Meinung der Bestatter*innen wieder. Marie-Lotta merkt jedoch an, dass diese Aussagen nicht repräsentativ sind und nur eine Stichprobe einzelner Befragter abbilden.
Ebenfalls thematisiert wird die Meinung der Kirche. Ein digitales Weiterleben nach dem Tod steht im Kontrast zu der klassischen, christlichen Vorstellung, dass Menschen nach ihrem Tod in den Himmel aufsteigen und in den Dienst Gottes treten. Dennoch fängt die katholische Kirche an, sich mit dem Thema künstliche Intelligenz auseinanderzusetzen, und veröffentlichte im vergangenen Jahr ein offizielles Statement des Vatikans durch den Erzbischof Vincenzo Paglia. Zwar positioniert sich die Kirche hierbei nicht konkret gegen die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz, sie verweist jedoch auf die Risiken, die mit einer solchen Technologie einhergehen, wenn Maschinen ohne Moral oder Gewissen agieren: „There is already a real risk that the man will be technologized, rather than the technology humanized“.
Einen Plan, wie man die Angebote zur digitalen Unsterblichkeit in Zukunft regulieren will, gibt es bisher nicht. Zunächst bräuchte es einen Diskurs in der Gesellschaft, findet Marie-Lotta. Das Thema müsse in Zeitungen und Talkrunden thematisiert werden: „Es ist natürlich faszinierend und eine Technik, die ganz neue Möglichkeiten schafft, aber auf der anderen Seite werfen sich ethisch und rechtlich viele Fragen auf, auf die es noch keine Antworten gibt. Deshalb müssen wir uns als Gesellschaft erst einmal damit auseinandersetzen.“ Nach ihrem Tod selbst als digitales Ich weiterzuleben kann sich die Masterstudentin aktuell nicht vorstellen: „Dass Hinterbliebene von mir in irgendeiner Art eine Hinterlassenschaft haben, würde ich nicht wollen. Ich fände es eine komische Vorstellung, auf diese Art weiter zu existieren. Und auch andersrum würde ich nicht wollen, dass jemand aus meinem Umkreis digital weiterlebt, weil es diesen Abschluss nicht gibt.“ Eine gezielte Anwendung von Virtual Reality, um Traumata zu verarbeiten, so wie die Bestatter*innen vorschlugen, hält sie allerdings für sinnvoll und sieht darin eine Chance für die Zukunft.