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„Die Wirt­schaft ist kein abs­trak­tes Ge­bil­de, son­dern be­ein­flusst das täg­li­che Leben stark“

von Ka­tha­ri­na Je­or­ga­ko­pu­los

Vom 22. bis 24. Mai fin­det an der HAW Ham­burg die in­ter­na­tio­na­le Fach­ta­gung von Pro­fes­so­rin­nen und Pro­fes­so­ren für Volks­wirt­schafts­leh­re an deutsch­spra­chi­gen Hoch­schu­len in Eu­ro­pa statt. Am letz­ten Tag öff­net sich die Ta­gung für In­ter­es­sier­te. Was VWL heute be­deu­tet und warum die Ta­gung wich­tig - dar­über hat Ka­tha­ri­na Je­or­ga­ko­pu­los mit Pro­fes­sor Dr. Ste­phan Boll ge­spro­chen, der die Ta­gung ge­mein­sam mit sei­ner Kol­le­gin Frau Pro­fes­so­rin Dr. Ruth Bo­erckel von der FH Kiel or­ga­ni­siert.

Herr Pro­fes­sor Boll, die Ta­gung tourt ja so­zu­sa­gen im Zwei-Jah­res-Rhyth­mus durch den deutsch­spra­chi­gen Raum. Warum ist die­ser re­gel­mä­ßi­ge Aus­tausch wich­tig, und was genau be­deu­tet VWL im Ge­gen­satz zu BWL, die ja deut­lich be­kann­ter ist und als Stu­di­en­fach eine weit grö­ße­re Zahl an Be­wer­bun­gen an­zieht?

Volks- und Be­triebs­wirt­schafts­leh­re sind beide Teil der Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten und kom­men ohne ein­an­der nicht aus. Be­triebs­wir­te und Be­triebs­wir­tin­nen wol­len wis­sen, wie der ge­samt­wirt­schaft­li­che Rah­men zu in­ter­pre­tie­ren ist, in dem Un­ter­neh­men sich be­tä­ti­gen. Volks­wir­te und Volks­wir­tin­nen be­nö­ti­gen Kennt­nis­se über be­triebs­wirt­schaft­li­che Zu­sam­men­hän­ge, um zu ver­ste­hen, wie ein Wirt­schafts­sys­tem funk­tio­niert. Wir sind froh, dass wir zu wis­sen­schaft­li­chem Aus­tausch mit Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen nach Ham­burg und Kiel ein­la­den kön­nen. Die Ta­gung bie­tet Ge­le­gen­heit, öko­no­mi­sche aber auch di­dak­ti­sche Fra­ge­stel­lun­gen in Vor­trä­gen und in­for­mel­len Ge­sprä­chen zu be­han­deln. Ich selbst habe von die­ser Art von Aus­tausch in mei­ner Zeit an der Hoch­schu­le immer sehr pro­fi­tiert.

Wenn man auf das drei­tä­gi­ge Pro­gramm schaut, geht es neben an­de­ren The­men auch um die große Geld­po­li­tik. So spielt auch die Bun­des­bank eine Rolle. Wie er­klä­ren Sie dem nicht öko­no­misch vor­ge­bil­de­ten Men­schen wie Geld­po­li­tik funk­tio­niert und was sie mit dem ei­ge­nen Geld­beu­tel zu tun hat?

Die Geld­po­li­tik bleibt für viele Men­schen so­lan­ge weit­ge­hend un­be­merkt, wie die Wirt­schaft sta­bil ist und gut läuft. Erst wenn die Lage schwie­ri­ger wird, sind auch geld­po­li­ti­sche Ent­schei­dun­gen und ihre Aus­wir­kun­gen stär­ker spür­bar. Den­ken Sie bei­spiels­wei­se an die his­to­risch nied­ri­gen Zin­sen, die wir be­reits seit ei­ni­gen Jah­ren be­ob­ach­ten. Sie be­tref­fen ganz un­mit­tel­bar Men­schen, die einen Teil ihres Ein­kom­mens spa­ren wol­len, zum Bei­spiel für ihren Ru­he­stand; oder Un­ter­neh­men oder Fa­mi­li­en, die einen Kre­dit auf­neh­men möch­ten, für eine neue Ma­schi­ne oder ein Ei­gen­heim. Diese nied­ri­gen Zin­sen sind letzt­lich auf geld­po­li­ti­sche Ent­schei­dun­gen der No­ten­ban­ken zu­rück­zu­füh­ren, die damit auf die Wirt­schafts­kri­se im Eu­ro­päi­schen Wäh­rungs­raum re­agiert haben.

Wie brin­gen Sie heute das Stu­di­en­fach VWL Stu­die­ren­den bei? Was müs­sen Ihre Stu­die­ren­den ler­nen, um kom­ple­xe Wirt­schafts­sys­te­me zu ver­ste­hen und spä­ter im Beruf an­zu­wen­den? Wo ar­bei­ten VWL-er/innen nach ihrem Stu­di­um?

Volks­wirt­schaft­li­che The­men tref­fen heute auf ein gro­ßes In­ter­es­se, ins­be­son­de­re na­tür­lich bei Stu­die­ren­den in Wirt­schafts­fä­chern. Viele Men­schen er­ken­nen, dass „die Wirt­schaft“ kein abs­trak­tes Ge­bil­de ist, son­dern sie im täg­li­chen Leben stark be­ein­flusst. Dies ver­su­che ich mei­nen Stu­die­ren­den durch die Ver­mitt­lung theo­re­ti­scher Über­le­gun­gen und ihrer bei­spiel­haf­ten An­wen­dung zu ver­deut­li­chen. Die Her­aus­for­de­rung be­steht darin, ein wirt­schaft­li­ches Sys­tem, das sich aus un­zäh­li­gen Ak­teu­ren und deren Ent­schei­dun­gen zu­sam­men­setzt, in sei­ner kom­pli­zier­ten Struk­tur zu ver­ste­hen. Dies ge­lingt nur durch Abs­trak­ti­on und Ver­ein­fa­chung. Wer sich dar­auf ein­lässt, ge­winnt wich­ti­ge Er­kennt­nis­se, die auch in Un­ter­neh­men und ihrer täg­li­chen Pra­xis nütz­lich ein­ge­setzt wer­den kön­nen. Die Glo­ba­li­sie­rung und Di­gi­ta­li­sie­rung ma­chen in­tel­li­gen­te und neue Lö­sun­gen in Un­ter­neh­men immer wich­ti­ger. Ohne volks­wirt­schaft­li­ches Ver­ständ­nis ge­lin­gen sie nicht.

Eng­land will aus der EU aus­tre­ten. Zum jet­zi­gen Zeit­punkt steht nicht fest, wann und unter wel­chen Um­stän­den der Aus­tritt statt­fin­det. Viele Men­schen in Eu­ro­pa sind des­halb ver­un­si­chert, be­son­ders was die Fi­nanz­re­ge­lung bei einem No Deal be­trifft. Sie fra­gen sich, wie sich der Brexit auf den Euro aus­wirkt. Was ist Ihre Pro­gno­se und kön­nen Sie als VWL-Ex­per­te hier etwas zur Klä­rung bei­tra­gen?

Das Ver­ei­nig­te Kö­nig­reich hatte seit jeher einen Son­der­sta­tus in der EU, der sich unter an­de­rem daran zeigt, dass das Land nicht den Euro als Wäh­rung ein­ge­führt hat. Gleich­zei­tig war und ist das Kö­nig­reich ein Be­für­wor­ter frei­er Märk­te und frei­er Han­dels­strö­me und war für Deutsch­land damit in den zu­rück­lie­gen­den Jah­ren oft ein ver­läss­li­cher Part­ner im Durch­set­zen li­be­ra­ler Wirt­schafts­po­li­tik auf Eu­ro­päi­scher Ebene. Der ge­plan­te Aus­tritt aus der EU ist damit aus mei­ner Sicht als Volks­wirt be­dau­er­lich. Er dürf­te den Eu­ro­päi­schen Wirt­schafts­raum und mit­tel­bar auch den Euro als Gan­zes eher schwä­chen als stär­ken. Die mög­li­chen ne­ga­ti­ven po­li­ti­schen Fol­gen gehen aus mei­ner Sicht aber noch über die wirt­schaft­li­chen Fol­gen hin­aus. Die EU war immer auch ein po­li­ti­sches Pro­jekt mit dem Ziel der Frie­dens­si­che­rung, nicht nur ein Wirt­schafts­pro­jekt.

Am letz­ten Ta­gungs­tag fin­det am Vor­mit­tag eine hoch­ka­rä­tig be­setz­te Po­di­ums­dis­kus­si­on statt. Hier spre­chen die Teil­neh­me­rin­nen und Teil­neh­mer über den Ef­fekt von welt­wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen auf die Re­gi­on. Einer der ein­ge­la­de­nen Gäste ist der Prä­si­dent vom Ham­bur­gi­schen Welt­wirt­schafts-In­sti­tut HWWI. Da­ne­ben kom­men eine Ex­per­tin und Ex­per­ten sowie Füh­rungs­per­sön­lich­kei­ten von der OECD in Paris, vom Lon­do­ner Stand­ort der Be­ren­berg Bank und von der Ham­bur­ger Han­dels­kam­mer. Was genau wird dort ver­han­delt und was ver­spre­chen Sie sich von dem Ge­spräch?

Wis­sen­schaft­li­cher Aus­tausch über wirt­schaft­li­che Fra­gen hat immer auch eine po­li­ti­sche Di­men­si­on. Po­li­ti­sche Ent­schei­dun­gen, die auf na­tio­na­ler oder in­ter­na­tio­na­ler Ebene zum Bei­spiel über Han­dels­fra­gen ge­trof­fen wer­den, be­ein­flus­sen wirt­schaft­li­che Ab­läu­fe im Gro­ßen und im Klei­nen. Als Ha­fen­stand­ort ist Ham­burg be­son­ders be­trof­fen, wenn auf­grund des Han­dels­streits zwi­schen den USA, China und Eu­ro­pa Un­si­cher­hei­ten ent­ste­hen. Ich bin froh, dass die HAW Ham­burg und die FH Kiel als Hoch­schu­len für An­ge­wand­te Wis­sen­schaf­ten es ge­schafft haben, Ex­per­ten zu­sam­men­zu­brin­gen, die sich hier­zu aus­tau­schen und ihre Über­le­gun­gen dis­ku­tie­ren wer­den. Ich denke, man darf sehr ge­spannt sein. Für die Ta­gungs­teil­neh­me­rin­nen und -teil­neh­mer wün­sche ich mir, dass sie mit an­re­gen­den Ge­dan­ken an ihre je­wei­li­gen Hoch­schu­len zu­rück­keh­ren und damit dort wei­ter­ar­bei­ten kön­nen.

Vie­len Dank für das Ge­spräch.

Das Pro­gramm der Ta­gung fin­den Sie hier.

Für die Po­di­ums­dis­kus­si­on „Re­gio­na­le Aus­wir­kun­gen welt­wirt­schaft­li­cher Ent­wick­lun­gen“ am Frei­tag, 24. Mai, von 9.15 bis 11.45 Uhr in der HAW Ham­burg, Ber­li­ner Tor 21 (Aula), ist eine ver­bind­li­che An­mel­dung un­be­dingt er­for­der­lich per Mail an pres­se(@)haw-ham­burg.de.

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