Ein Mann© A. Neumann
Michael Skala würde für seine Bachelor-Arbeit ausgezeichnet.

Die Rolle Sozialer Arbeit in Notlagen und bei Schadensereignissen

von Joachim Kläschen

Für seine Bachelorarbeit mit dem Titel ‚Entwicklung einer Aktivierenden Befragung im sozialraumorientierten Bevölkerungsschutz: Ein Beitrag der Sozialen Arbeit zur Aktivierung einer Selbstschutz- und Selbsthilfekompetenz bei Bürger*Innen für eine stärkere gesellschaftliche Resilienz gegenüber Notlagen und Schadensereignissen‘ ist Michael Skala ausgezeichnet worden. Das Deutsche Komitee Katastrophenvorsorge e.V. hat die Arbeit in der Kategorie ‚Bachelor‘ mit dem ersten DKKV-Förderpreis 2021 ausgezeichnet. Im Gespräch mit der Campusredaktion beschreibt der Alumnus des Fachbereichs Soziale Arbeit und Gesundheit, worum es in seiner ausgezeichneten Arbeit geht.

 

Herr Skala, welche Verbindung haben Sie mit Notlagen und Schadensereignissen, der Grundlage ihrer Arbeit?

Ich bin seit vielen Jahren hauptberuflich sowie auch ehrenamtlich im Bereich des Rettungswesens und des Bevölkerungsschutzes unterwegs. Da lässt es sich nicht vermeiden, sich auch mit den Themen wie Resilienz und Vulnerabilität, Selbstschutz und Selbsthilfe sowie Katastrophenvorsorge auseinanderzusetzen. Diese Themen sind seit Jahren im aktuellen Bevölkerungsschutz-Diskurs auf der Tagesordnung. Eine echte Bearbeitung bis in alle gesellschaftlichen Ebenen scheiterte jedoch bisher an einer fehlenden Risikowahrnehmung auf allen Ebenen. Wenn keine Krise da ist, dann beschäftigen wir uns damit auch nicht. Wenn jederzeit alles verfügbar und sicher ist, dann blenden wir sehr schnell aus, dass es auch anders ein könnte.

 

Wie sind Sie auf das Thema Ihrer Bachelor-Arbeit gekommen?

Während meines berufsbegleitenden Studiums an der FH Kiel kam mir die Idee, Methoden oder Ansätze der Sozialen Arbeit auszuprobieren, um auf die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit Notfall- und Katastrophenvorsorge aufmerksam zu machen. Es ging mir darum, Menschen zu aktivieren, um damit fehlender Risikowahrnehmung entgegenzuwirken. In einem Seminar zur Sozialraumorientierung durfte ich als Interviewer eine Aktivierende Befragung unterstützen. Anschließend habe ich spontan einen kleinen Frage-Leitfaden mit einem Bevölkerungsschutzbezug entworfen und in meinem Umfeld getestet. Ich war überrascht darüber, dass Personen, die Themen ‚Katastrophenvorsorge‘ und ‚Verhalten in Notlagen‘ bisher vollkommen ausgeblendet hatten, sich danach zusammen mit ihren Familien selbständig gedanklich mit dem Was-wäre-wenn-Szenario auseinandergesetzt haben. Als Ende 2019 dann eine große Hilfsorganisation mit dem Abschluss eines Forschungsprojektes den Grundstein für einen Sozialraumorientierten Bevölkerungsschutz legte, war das für mich der Punkt, an dem ich beschlossen habe, mich im Rahmen meiner Thesis näher mit dem Thema auseinanderzusetzen und herauszufinden, inwiefern Soziale Arbeit mit einer Aktivierenden Befragung einen Beitrag für den Bevölkerungsschutz leisten kann.

 

Was war die größte Herausforderung, die sich Ihnen in Zusammenhang mit Ihrer Bachelorarbeit stellte?

Da das Thema Bevölkerungsschutz in der Sozialen Arbeit aber auch in der Pädagogik noch recht jung ist, war zu Beginn der Arbeit die Literatursuche eine kleine Herausforderung. Auch habe ich mich zwischendrin immer wieder schwer damit getan, diese Disziplinen Bevölkerungsschutz und Soziale Arbeit miteinander zu denken und mich nicht in der Komplexität der Thematik zu verlieren.

 

Ihre Arbeit möchte einen Beitrag zur Aktivierung einer Selbstschutz- und Selbsthilfekompetenz leisten. Was ist unter diesen Kompetenzen zu verstehen?

Mit ‚Selbstschutz‘ und ‚Selbsthilfe‘ sind spontane und eigenmotivierte individuelle Maßnahmen und privates Handeln gemeint, welches Bürgerinnen und Bürger, Institutionen, Behörden und Betriebe, sowie die Gesellschaft ergreifen sollten, um Gefahren- und Krisensituationen zu vermeiden, beziehungsweise um diese nach Eintritt bestmöglich überwinden zu können. Die Entwicklung solcher Maßnahmen ist ein kollektiver Prozess, der dazu dient, mögliche Schadensauswirkungen gemeinsam zu bearbeiten und zu bewältigen. Der Fokus liegt dabei auf der Selbstorganisation und dem Schaffen von Netzwerken sowie der Aufrechterhaltung der eigenen Handlungsfähigkeit unter Einbeziehung eigener Ressourcen, Kräfte und Fähigkeiten. Ziel ist es, gemeinschaftlich resilient ein Ereignis zu bewältigen.

 

Im Rahmen ihrer Bachelorarbeit haben Sie eine Aktivierenden Befragung im sozialraumorientierten Bevölkerungsschutz entwickelt. Was ist darunter zu verstehen?

Die ‚Aktivierende Befragung‘ ist eine klassische Methode aus der Gemeinwesenarbeit. Sie ist der Auftakt für eine längerfristig angelegte Aktivierende Arbeit in einem definierten Sozialraum. Präventiver Bevölkerungsschutz sowie Abwehr und Bewältigung von Katastrophen und Krisenereignissen sind mittlerweile eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Um im Fall der Fälle gut gewappnet zu sein, sollten sich alle Akteure eines Sozialraums gemeinsam mit etwaigen Vulnerabilitäten und Bedarfen auseinanderzusetzen. So können sie untereinander ihre Bewältigungsstrategien und Ressourcen anzupassen und eine Vernetzung von Kompetenzen erreichen. Ziel der Maßnahmen ist es, drohenden Ereignissen möglichst gemeinschaftlich resilient zu begegnen. Die Aktivierende Befragung soll befähigen, eigenmotiviert und selbstbestimmt, sowie gemeinsam relevante Handlungskompetenzen zu erarbeiten um eine Problemlage zu bearbeiten.

 

Welchen Beitrag könnte die Soziale Arbeit im Allgemeinen und ihrer Arbeit im Besonderen im Vorfeld einer Notlage oder eines Schadensereignisses leisten?

Der Fokus meiner Arbeit lag darauf, einen Beitrag zur Steigerung von ‚gemeinschaftlicher Resilienz‘ (‚community resilience‘) zu leisten. Dafür ist es erstrebenswert, möglichst früh vor dem Eintritt eines Ereignisses bestmöglich vorbereitet zu sein, denn niemand kann vorhersehen, ob, wann und in welchem Umfang eine Katastrophe eintritt. Der erste Weg zur Steigerung von community resilience ist es, Risikobewusstsein auf allen gesellschaftlichen Ebenen zu schärfen. Im zweiten Schritt geht es für die Akteure des Sozialraums darum abzustimmen, welches Verhalten in bestimmten Situationen erwünscht ist. Beispielsweise, wer wen wie warnt, wer welchen Beitrag leisten kann, wo wer wen unterstützen kann. Dabei ist es durchaus wichtig, bereits eingetretene oder sogar durchlebte Ereignisse einzubeziehen und diese zu analysieren, um für zukünftige ähnliche Szenarien Handlungskompetenzen, Netzwerke und Ressourcen parat zu haben.

 

Ist der Aufbau gemeinschaftlicher Resilienz auch während Notlagen und Schadensereignissen möglich – beispielsweise im Hinblick auf die Folge des Ukrainekrieges?

Wenn man die aktuellen Abläufe bei der Aufnahme, Registrierung, Versorgung und Verteilung der Kriegsgeflüchteten aus der Ukraine betrachtet, funktionieren sie deutlich reibungsloser als bei der Flüchtlingssituation im Jahr 2015. Das mag einerseits daran liegen, dass Abläufe noch bekannt und viele Strukturen noch vorhanden sind. Vielleicht auch daran, dass man aus Fehlern gelernt und Abläufe festgehalten hat, sodass man diese nun für eine ähnliche Situation gut abrufen und nutzen kann. So haben beispielsweise die verantwortlichen Stellen der Verwaltungen aus 2015 gelernt, die Ressource ‚Spontanhelfer‘, also selbstkoordinierte Hilfe aus der Bevölkerung, gleich von Anfang an in die Abläufe einzubinden. Das stärkt und unterstützt nicht nur die eigenen Ressourcen, sondern ermöglicht auch eine reibungslosere Abwicklung der Lage. So kann man viele gesellschaftliche Bereiche anschauen und durch die Identifikation von Vulnerabilitäten eine enge Verzahnung mit bestehenden Ressourcen erzielen, um so den Grad der Auswirkung eines Schadensereignisses auf vulnerable Systeme oder Gruppen zu minimieren. Allerdings ist die Anwendung eines solchen Ansatzes eher für das ‚nach der Krise‘ gedacht. Nach der Bewältigung sollte nicht in den Alltag zurückgekehrt werden, sondern eben Hilfe der ‚lessons learned‘ innerhalb des Sozialraums die eigenen Handlungsstrategien und -kompetenzen überdacht, angepasst und weiterentwickelt werden, um zukünftige Ereignisse besser bewältigen zu können. Und grade in dieser Begleitung danach, kann die Soziale Arbeit mit ihren Unterstützungsangeboten an ihre Adressaten unter Berücksichtigung auf einen Sozialraumorientierten Bevölkerungsschutz einen wesentlichen Beitrag zur Schaffung einer community resilience leisten.

© Fachhochschule Kiel