Auf Einladung der FH-Gleichstellungsbeauftragten Dr.in Marike Schmeck erklärte Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch während der Interdisziplinären Wochen (IDW) in seinem Vortrag „Geschlechtergerechte Sprache – linguistische und sprachethische Perspektiven“ rund 180 Teilnehmenden das Gewicht gendergerechter Sprache. Das sogenannte Gendern werde viel zu häufig, gerade in den Medien, als Streitpunkt dargestellt. Dabei brauche es eine Debatte, die weniger emotional aufgeladen über das Thema informiert.
In offiziellen Texten wird häufig das generische Maskulinum verwendet. Eine männliche Sprachform, die ganz selbstverständlich alle Frauen und nicht-binären Menschen miteinschließt und scheinbar weitestgehend akzeptiert wird. Verwendet man jedoch das generische Femininum, sollen also Männer und nicht binäre-Menschen in der weiblichen Sprachform eingeschlossen sein, zeigt sich, dass es mit den generischen Formen und sprachlicher Toleranz nicht ganz so einfach ist. Stefanowitsch erzählte von der Uni Leipzig, an der 2013 die Grundordnung umgeschrieben wurde. Statt „Studenten“ hieß es ausschließlich „Studentinnen“, statt „Professoren“ „Professorinnen“. Männer seien, hieß es, natürlich miteingeschlossen. Wenn das generische Maskulinum kein Problem darstelle, sollte doch auch das generische Femininum in Ordnung sein, zumal zu diesem Zeitpunkt mehr Studentinnen als Studenten an der Uni Leipzig eingeschrieben waren. Aber statt sich mit eingeschlossen zu fühlen, wie es von Frauen und nicht-binären Menschen erwartet wird, kam heftige Kritik von Seiten der männlichen Universitätsangehörigen. Kein Student solle als Studentin bezeichnet werden müssen, hieß es seitens der juristischen Fakultät.
Noch gibt es keine Norm, welche Form des Genderns die „richtige“ ist. Jedoch sollte das Thema auch in Hinsicht auf die zukünftigen Generationen mehr diskutiert werden, denn Sprache formt unser Denken. An der Freien Universität Berlin haben Psycholog*innen 2016 ein Experiment zu Berufsbezeichnungen aus dem naturwissenschaftlichen Bereich mit 591 Grundschüler*innen durchgeführt. Da Berufe wie Informatiker*in oder Ingenieur*in oft als „typisch männlich“ gesehen werden, wurden den Kindern die Berufsbezeichnungen in gendergerechter und männlicher Sprachform genannt. Es zeigte sich, dass die Kinder jene Berufe als erreichbarer einstuften, die sowohl die männliche als auch weibliche Form nannten.
Dass Sprache sich verändert, ist kein neues Phänomen. Sprachwissenschaftler Guy Deutscher beschreibt in seinem Buch „Du Jane, ich Goethe: Eine Geschichte der Sprache“, dass Männer, die mit Sprache zu tun hatten, im Laufe der Geschichte immer wieder darüber klagten, dass die Sprache zu Grunde gehe. So beispielsweise Jacob Grimm im Jahr 1819, Friedrich Nietzsche 1873 oder Kurt Tucholsky 1918. „Demnach ist das heutige Deutsch nicht mehr das, was es war, aber das war es nun allerdings nie“, so Deutscher. Seit es Sprache gibt, gibt es Sprachwandlung. Der „Untergang der deutschen Sprache“, wie es häufig von Kritiker*innen heißt, sei es in Bezug auf Gendern, Anglizismen oder Neologismen, findet somit seit Jahrhunderten statt, und trotzdem sind wir noch immer in der Lage, uns zu verständigen. Veränderungen im Sprachgebrauch sind gleichzeitig auch immer Entwicklungen. Und vielleicht sind diese Entwicklungen nötig und richtig, denn eine Sprache, die Männer, Frauen und nicht-binäre Menschen gleichermaßen einschließt, kann meiner Meinung nach kein „Untergang“ sein, sondern ist durchaus erstrebenswert.
Bücher, die sich mit dem Thema genderegerechte Sprache und dem Einfluss von Sprache auf unser Denken befassen sind beispielsweise „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ von Anatol Stefanowitsch, „Sprache und Sein“ von Kübra Gümüsey und „Im Spiegel der Sprache: Warum die Welt in anderen Sprachen anders aussieht“ von Guy Deutscher.