Einmal hat sich eine Studentin an die Beschwerdestelle der Fachhochschule gewandt, weil ihre Anmeldung zur Prüfung nicht geklappt hat. „Das ist kein Fall, der auf unsere Einrichtung gemünzt ist“, erläutert Prof. Dr. Rainer Geisler, der gemeinsam mit vier anderen Mitgliedern die Aufgaben der Beschwerdestelle wahrnimmt. Durch einen Telefonanruf hat er der Studentin dennoch geholfen. Die Funktion der Beschwerdestelle besteht nicht darin, auf Unzufriedenheiten aller Art einzugehen und Fragestellungen von A wie Abfall bis Z wie Zulassung zu klären. „Wir sind nicht der Anlaufknoten, der Probleme an die richtigen Adressaten verteilt“, betont Geisler. Aber wofür ist die Beschwerdestelle dann da?
Das bundesweite Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) aus dem Jahr 2006 sieht vor, dass Beschwerdestellen eingerichtet werden, um „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen“. Das gilt nicht nur für Betriebe, sondern auch für Hochschulen. „Das Besondere ist, dass die Beschwerdestellen an Hochschulen in Schleswig-Holstein nicht nur für Beschäftigte, sondern auch für Studierende da sind“, erläutert Prof. Geisler, Dekan im Fachbereich Maschinenwesen.
Doch es gibt an der FH auch noch Beratungsstellen, die im Fall von Diskriminierung ansprechbar sind. Die Liste ist lang: Sowohl für Studierende als auch für Beschäftigte zuständig sind die hauptamtliche Gleichstellungsbeauftragte, Dr. Marike Schmeck, und die Gleichstellungsbeauftragten der einzelnen Fachbereiche. Die Diversitätsbeauftragte, Alexa Magsaam, kümmert sich um Fragen der Diskriminierung in Bezug auf Alter, ethnische Herkunft, Nationalität oder Religionszugehörigkeit. Speziell für Studierende gibt es die Zentrale Studienberatung sowie die*den Beauftragte*n für Studierende mit Behinderung und chronischen Erkrankungen. Entsprechend gibt es für Beschäftigte die*den Beauftragte*n für Menschen mit Schwerbehinderung sowie die Personalräte und die*den Inklusionsbeauftragte*n.
„Bei Problemen empfehlen wir, immer erst Kontakt zu den entsprechenden Beratungsstellen aufzunehmen“, erklärt Prof. Geisler und liefert zwei Begründungen: „Wir Mitglieder von der Beschwerdestelle sind für einige Situationen nicht speziell ausgebildet, zum Beispiel in Bezug auf die Gesprächsführung mit Personen, die sich sexuell belästigt fühlen.“ Der zweite Grund: Die jeweiligen Beratungsstellen würden wichtige Punkte und unwichtige Details entflechten und damit zu einer Arbeitseffizienz der Beschwerdestelle beitragen. „Nicht jedes verletzte Gefühl, und sei es noch so nachvollziehbar, ist eine Benachteiligung im Sinne des AGG“, stellt Prof. Geisler klar.
Das Beschwerdeformular, das Betroffene möglichst mit Hilfe einer Beratungsstelle oder aber allein ausfüllen, ist überschaubar und soll den Sachverhalt auf den Punkt bringen. „Ein Formularberg könnte als Hürde wirken“, erklärt der Dekan. Bevor sich das fünfköpfige Team die Arbeit aufteilt, klärt es, ob ein Mitglied befangen ist. Ein Fall wird von einem*r Casemanger*in federführend, aber in Abstimmung mit allen Mitgliedern der Beschwerdestelle, bearbeitet. Er oder sie hat im Blick, welche Schritte nach und nach folgen. „Zunächst informieren wir das Präsidium und prüfen, ob Sofortmaßnahmen nötig sind“, erzählt Prof. Geisler. Denn manche Situation erlaube keinen Aufschub. „Bei Stalking können wir zum Beispiel veranlassen, dass beide Personen nicht in derselben Gruppe bleiben, und wir empfehlen gegebenenfalls, auch juristisch vorzugehen.“
Doch nicht nur die eine Seite findet Gehör, sondern auch die andere: Die Beschwerdestelle fordert die beschuldigte Person auf, sich innerhalb von zehn Tagen zu der geschilderten Situation schriftlich zu äußern. Auf der Grundlage dieser Stellungnahme sprechen zwei Mitglieder des Teams mit dem oder der Beschuldigten. Dienstvorgesetzte beziehungsweise der Dekan oder die Dekanin des jeweiligen Fachbereiches können hinzugezogen werden. Und auf Wunsch der oder des Beschuldigten kann auch eine Person des Vertrauens am Gespräch teilnehmen. „Die Beschuldigten haben das Recht, aber nicht die Pflicht, sich schriftlich oder mündlich zu äußern“, berichtet der Dekan. Um sich ein umfassenderes Bild zu machen, nutze das Team zudem Zeugenaussagen. Zu bestimmten Problemstellungen könnten auch Expert*innen hinzugezogen werden. Alle Gespräche seien streng vertraulich.
Erweist sich die Beschwerde als unbegründet, wird das Beschwerdeverfahren beendet und das Präsidium informiert. Im anderen Fall macht das Team dem Präsidium Vorschläge zum weiteren Vorgehen. „Die letztendlichen Maßnahmen werden vom Präsidium veranlasst, die Beschwerdestelle arbeitet ihm nur zu“, sagt Prof. Geisler. In Frage kommt eine ganze Palette an Maßnahmen. Möglich ist – gemäß der FH-Richtlinie – zum Beispiel ein begleitetes Gespräch zwischen den beiden Personen, ein formelles Dienstgespräch, eine Ermahnung, schriftliche Abmahnung oder eine Versetzung an einen anderen Arbeitsplatz beziehungsweise in eine andere Lehrveranstaltung. Im äußersten Fall kann es auch zu einer Exmatrikulation, einer Kündigung, einem Disziplinarverfahren oder einem Strafverfahren kommen.
Doch die Beschwerdestelle selbst versteht sich nicht als „Ort für Bestrafungen“. Prof. Geisler hat festgestellt: „Diese Erwartung steht manchmal im Raum, aber diese Befugnis haben wir gar nicht, da sie nur dem Präsidium zusteht.“ Er weist darauf hin: „Unser Ziel ist vorrangig, Benachteiligung und Diskriminierung abzustellen.“ Das AGG habe dabei nicht die Diskriminierung ganzer Gruppen im Blick. „Es geht darum, dass sich jemand individuell benachteiligt und beeinträchtigt fühlt“, informiert Prof. Geisler.
Vom Eingang der Beschwerde bis zur Maßnahme, die das Präsidium ergreift, verstreicht in zweifelsfreien Fällen ein Zeitraum von vier bis fünf Wochen. Seit Sommer 2020 habe die Stelle vier Beschwerdefälle behandelt. „Es ist keine große Anzahl, aber es geht um gewichtige Entscheidungen und manchmal hat eine Beschwerde viele Beschwerdeführer*innen“, bekundet Prof. Geisler. In einem Fall sei es beispielsweise um eine unerwünschte Kontaktaufnahme gegangen, in einem anderen um eine unerwünschte Zusendung von pornografischen Bildern an mehrere Studierende.
In der Richtlinie der FH Kiel „zum Schutz vor Benachteiligung, Diskriminierung, sexualisierter Belästigung und Gewalt“ vom Mai 2019 wird klargestellt, dass sexualisierte Belästigung und Gewalt sich nicht nur in unerwünschten Annährungsversuchen und körperlichen Übergriffen ausdrücken, sondern auch verbal und nonverbal. Die Würde einer Person könne verletzt sein durch einen sexuell herabwürdigenden Sprachgebrauch, Gesten oder eine „elektronische Präsentation obszöner, pornografischer oder sexistischer Darstellungen“.
Mitglieder der Beschwerdestelle sind neben Prof. Dr. Rainer Geisler Prof. Dr. Saskia Bochert aus dem Fachbereich Wirtschaft, Gabriele Küchmeister aus der Personalabteilung, der Jurist Prof. Dr. Mario Nahrwold und Prof. Dr. Britta Thege, Geschäftsführerin des Instituts für Interdisziplinäre Genderforschung und Diversity (IGS). Für die Mitglieder der Beschwerdestelle gibt es dabei keine Stundenermäßigung oder sonstige Kompensation, sie sind ehrenamtlich tätig.
Früher sah die personelle Zusammensetzung anders aus: Der Beschwerdestelle gehörten der Kanzler, die*der Personalratsvorsitzende und die Gleichstellungsbeauftragte an. Im Mai 2019 wurde die Beschwerdestelle umstrukturiert. Seitdem besteht sie aus fünf Mitgliedern, die das Präsidium ernennt, darunter mindestens drei Frauen. „Diese Änderung ergibt Sinn“, meint die Gleichstellungsbeauftragte Dr. Marike Schmeck. Wenn die Gleichstellungsbeauftragte auch im Team der Beschwerdestelle arbeite, könne es zu Rollenkonflikten kommen. Das fünfköpfige Gremium ist für Dr. Schmeck „eine gute Repräsentanz“ der unterschiedlichen Fachhochschulbereiche. Die Beschwerdestelle könne sich jeder Zeit an sie wenden, um ihre Expertise in bestimmten Diskriminierungsfällen einzuholen, beispielsweise im Bereich „sexualisierte Diskriminierung und Gewalt.“
Problemstellungen in diesem Feld finden sich häufig in der Arbeit der Beschwerdestelle wieder. An jeder Hochschule gebe es Fälle in diesem Bereich, so die Gleichstellungsbeauftragte. „Die Bandbreite reicht von abfälligen Bemerkungen bis zu tätlichen Übergriffen.“ In solchen Angelegenheiten hat Dr. Schmeck als Beraterin einen Blick darauf, ob es ein Vorfall im Sinne des AGG ist, sodass die Beschwerdestelle eingeschaltet werden könnte. Die Gleichstellungsbeauftragte versucht abzuschätzen, ob ein entsprechendes Verfahren Aussicht auf Erfolg hat. Sie bespricht außerdem mit der Person, die sich an sie wendet, inwieweit Anonymität gewährleistet werden kann. Manchmal können durch die Fallschilderung Rückschlüsse auf die Person gezogen werden und es stellt sich die Frage, ob sie diese Möglichkeit in Kauf nehmen möchte.
„Grundsätzlich können sich alle Hochschulmitglieder, die sich sexuell belästigt oder aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität oder der sexuellen Orientierung diskriminiert fühlen, an mich wenden, auch wenn sie nicht sicher sind, wie das Erlebte einzuordnen ist“, informiert Dr. Schmeck. Es zähle zu ihren Aufgaben, die Ratsuchenden bei der Einordnung des Erlebten zu unterstützen. Viele Betroffene trauten sich nicht, Hilfe zu suchen. „Ich möchte Betroffene ermutigen, von ihrem Beratungsrecht Gebrauch zu machen“, so die Gleichstellungsbeauftragte.
Eine von gegenseitiger Wertschätzung geprägte Atmosphäre an der FH ist sowohl ihr als auch den Mitgliedern der Beschwerdestelle ein zentrales Anliegen. Persönlich wünscht sich Prof. Geisler, dass Ansätze von Diskriminierung schon im Keim erstickt werden. „Es wäre gut, entsprechende Äußerungen mit eigenem Empowerment selbstbewusst zurückzuweisen.“ Dabei laute das Motto in Bezug auf den oder die Betroffene*n: „Du bist nicht schuld, aber Du kannst trotzdem etwas für Dich tun.“ In bestimmten Fällen sei es für Studierende ratsam, sich direkt an die Studiengangsleitung zu wenden. Doch müssen diejenigen, die sich beklagen, nicht mit Nachteilen rechnen? Diese Befürchtung weist der Dekan entschieden zurück. „Ich bitte darum, Vertrauen zu haben. Wir möchten wissen, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Und oft hat eine direkte Ansprache auch eine sofortige Wirkung. Es kann ja auch aus Unwissenheit ein Verstoß gegen unsere Richtlinie entstehen.“
Wie wichtig der FH ein gutes Klima ist, geht aus der Präambel der Richtlinie hervor. Hier heißt es: „Benachteiligung, Diskriminierung, sexualisierte Belästigung und Gewalt stellen eine massive Störung des Hochschulbetriebs dar. Sie schaffen ein einschüchterndes, stressbeladenes und entwürdigendes Arbeits- und Studienumfeld und können zu ernsten gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen.“
Prof. Geisler stellt der Beschwerdekultur an der Fachhochschule Kiel ein gutes Zeugnis aus: „Die Beratungsstellen und die Beschwerdestelle leisten ihren Beitrag zu einem respektvollen Miteinander der Hochschulangehörigen. Letztlich ist die Schaffung eines diskriminierungsfreien Umfelds die Aufgabe aller.“