Wer annimmt, ein Deich sei bloß ein undurchlässiger begrünter Haufen Erde, der irrt. „Ein Deich ist ein technisches Erdbauwerk, das bestimmten Anforderungen genügen muss, um tiefer liegende Gebiete vor hohen Überflutungen zu schützen“, erklärt Dr.-Ing. Sven Liebisch. Er muss es wissen, schließlich ist Liebisch Professor für Wasserbau am Institut für Bauwesen der Fachhochschule Kiel und lehrt unter anderem Küsteningenieurwesen und Küstenschutz. „Ein moderner Deich besteht aus drei Zonen“, erklärt Liebisch. „Im Zentrum liegt der Stützkörper, der entscheidend für die Standfestigkeit des Deichs ist. Auf der Wasserseite befindet sich eine weitgehend wasserundurchlässige Schicht aus Klei oder Lehm. Die landseitige Böschung schließt im unteren Bereich mit einer stark durchlässigen Filter- oder Dränschicht ab, durch die das durchsickernde Wasser gezielt abgeleitet werden kann.“
Entsprechend ist die Vorstellung, dass Wasser durch den Deich dringt, kein Alptraum-Szenario, sondern im Gegenteil (in Maßen) eine Eigenschaft eines modernen Deiches, weiß Liebisch. „Ein Deich ist so konzipiert, dass, wenn er einmal gesättigt ist, Wasser durch ihn hindurchsickern und kontrolliert abfließen kann“, erklärt der Professor. Das abfließende Wasser gibt zudem Aufschluss über den Zustand des Deiches, führt Liebisch weiter aus. „Ist das Wasser klar, ist alles in Ordnung. Tritt trübes Wasser aus, ist das ein Zeichen dafür, dass im Inneren eine Erosion stattfindet und Sand aus dem Deich ausgewaschen wird.“
Um das zu verhindern, brauchen die Deichschichten eine durchdachte ‚Korngrößenzusammensetzung‘. „Den Gegebenheiten und Anforderungen entsprechend werden Bodenarten mit unterschiedlichen Eigenschaften gemischt“, weiß Dr. Alois Steiner. Er hat am Institut für Bauwesen die Professur für Geotechnik im Wasserbau inne. Ein wichtiger Faktor ist dabei der Untergrund, auf dem der Deich stehen soll. „Ist der Boden nicht tragfähig genug für das Eigengewicht des Deichs, müssen Maßnahmen zu seiner Verbesserung erfolgen. Das sind in den weicheren Schlick- und Kleiböden häufig Geokunststoffummantelte Sandsäulen, die je nach örtlicher Gegebenheit fünf bis zehn Meter tief eingebracht werden“, führt der Geotechniker aus.
Die Verwendung natürlicher Baustoffe hat beim Deichbau hohe Priorität. Dazu zählt auch die Grasnarbe, die keinesfalls nur dekorativen Charakter hat. „Der Grasbewuchs hat eine Schutzfunktion, denn er reduziert bei Küstendeichen die Auswirkungen des Wellenschlags“, erklärt Liebisch. Bei jährlichen Begehungen, den sogenannten Deichschauen, wird dann auch besonders auf eine intakte Grasnarbe geachtet. Fallen bei dieser Sichtprüfung Bauten von Wühltieren auf, herrscht umgehend Handlungsbedarf. „Die Bauten von Nutrias oder Kaninchen führen zum gefürchteten Piping“, weiß der Wasserbauer. „Dringt durch solche Öffnungen Wasser in den Deich, fördert das die Erosion und gefährdet die Standfestigkeit des Bauwerkes.“
Eine neuere Entwicklung im Deichbau in Schleswig-Holstein ist der ‚Klimadeich‘, der beispielsweise im nordfriesischen Dagebüll realisiert wurde. „Bei dieser Deichverstärkung wurde der voraussichtliche Anstieg des Meeresspiegels in die Planung mit aufgenommen“, erklärt Steiner. „Wenn der Untergrund es trägt, kann man Deiche zudem aufstocken. Solche Fälle sind allerdings nicht nur eine bauliche Herausforderung“, weiß der Professor. Da höhere Deiche mehr Grundfläche benötigen, führen eine Ertüchtigung oder das Aufstocken in der Regel zu Diskussionen mit Anliegern, wie beispielsweise Hausbesitzern oder Landwirten, die ihren Grund selten freimütig für den Küstenschutz aufgeben.
Zudem leiden die Deiche im ganzen Land unter einem urdeutschen Problem, der Zuständigkeitsfrage. Im Gegensatz zu den Niederlanden, wo man sich von zentraler Stelle aus und mit einem Budget um Deiche kümmert, haben hierzulande die Bundesländer die Hoheit über ‚ihren‘ Hochwasser- und Küstenschutz. Damit nicht genug liegen nicht alle Deiche im Verantwortungsbereich des jeweiligen Landes. Viele kleinere Bauwerke, sogenannte Regionaldeiche, liegen in der Verantwortlichkeit von Kommunen oder Wasserbodenverbänden. Ist die Kasse knapp, wird meist am Deich gespart und eine Ertüchtigung aufgeschoben. Welche Folgen das haben kann, zeigte sich in einer Sturmflutnacht im Herbst 2023 in Arnis im Kreis Schleswig-Flensburg: Der Deich brach auf einer Länge von rund 40 Metern und die Wassermassen flossen ungehindert in die kleinste Stadt Deutschlands.
Auch wenn aus dem Generalplan Küstenschutz für Schleswig-Holstein hervorgeht, dass an allen relevanten Stellen im Land Deiche vorhanden sind, bedeutet das keinesfalls, dass sich Fachkräfte mit Deichkompetenz langweilen würden. „Neubauten sind eher die Ausnahme, dennoch gibt es immer viel zu tun an den Deichen“, weiß Liebisch. „Und die Fachkräfte, die wir hier ausbilden, müssen sich keine Sorgen machen, später keine spannende Tätigkeit zu finden“, diagnostiziert der Wasserbauer. „Küstenschutz ist ein anspruchsvolles Feld“, ergänzt sein Kollege Steiner. „Insbesondere das Zusammenspiel von Wasserbau und Geotechnik sorgt dafür, dass jede Aufgabe neue Herausforderungen mit sich bringt.“