Frau liest im Buch, unscharf im Hintergrund zwei Menschen© Pixabay

Das „Innere Team“, der Tagesrhythmus und Hilfe bei Versagensängsten

von Hartmut Ohm

Herr Prof. Dr. Klaus, wie können Studierende „das Beste aus sich herausholen“?

Studieren heißt, sich eifrig darum zu bemühen, Kompetenzen zu erwerben. Kompetent sein bedeutet, laufend vielfältige Änderungen und Neuerungen im Berufsweg bewältigen und mit unbekannten Bedingungen, mit „Komplexität” umgehen zu können. Dazu braucht man Wissen um Dinge, Begriffe, Fakten und Zusammenhänge, die man allerdings auch verstehen muss! Verstandenes Wissen ist auch anzuwenden, gegebenenfalls muss man neues Wissen hervorbringen.

Weil sich die Handlungsbedingungen ändern, sind die einmal gewonnenen Erkenntnisse immer wieder kritisch (also abwägend und beurteilend) zu hinterfragen. Dazu muss man auch in Austausch gehen mit anderen Menschen und mit diesen in ihren unterschiedlichen Rollen zusammenzuarbeiten. Für diesen Weg bedarf es dreier Voraussetzungen.

Erstens sollte sich jeder Mensch fragen, was er sich von einem Studium erwartet. Möchte er wirklich solche Kompetenzen erwerben, oder reicht es ihm aus, nur bestimmte Wissenselemente als Instrumente zur Erledigung einfacher Aufgaben zu beherrschen, zwecks vorschnellen Erfolgs? Nach meiner Einsicht findet man den Zugang zum Studieren leichter, wenn man den Nutzen versteht.

Zweite Voraussetzung ist eine positive Einstellung zu den Themen und dazu, sich auf schwierig erscheinende Themen einzulassen, sich auf neues Terrain zu begeben. Wenn man das Wechselspiel von Anwendung und Theorie nur widerwillig betreibt, dann ist Studieren vielleicht nicht der richtige Weg in die eigene Zukunft.

Allerdings: In jeder Ausbildung, in jedem Studium, in jedem Beruf gibt es Dinge, die einem inhaltlich (zunächst) nicht liegen; da heißt es dann oft, man müsse dann „einfach durch“ oder wenigstens „ran“. Das mag vereinfachend klingen, richtig ist aber, dass sich ein positives Gefühl entwickeln kann, wenn man sich positive Wirkungen für seine Zukunft vor Augen führt und erste Hürden einmal geschafft hat. Es geht in jedem Falle darum, in der rationalen Auseinandersetzung mit seinen Einstellungen eine positive Haltung zum Studium einzunehmen.

Damit sind wir dann auch schon beim dritten Faktor: Man muss sich immer wieder den Anstoß geben, in die konkreten Lernaktivitäten einzusteigen. Dies gelingt am besten auf der Basis einer bejahenden Haltung.

Können positive Affirmationen zum Studienerfolg beitragen?

Eine Affirmation (so viel wie: Beteuerung oder Bestätigung) als ein bejahender Satz, den man sich zu selbst sagt, soll – und kann – die Entwicklung einer positiven gefühlsmäßigen Einstellung zum Studium unterstützen. Ich rate allerdings zur Vorsicht vor Glaubenssätzen in diesem Zusammenhang wie: „Denke immer positiv, dann hast du auch Erfolg“ oder: „Tschakka – du schaffst das!“.

Solche vorwissenschaftlichen, psychologisierenden, teils ideologischen Sätze finden sich in Lebensratgebern (Zeitschriften, Bücher, Internetseiten, Foren, Blogs usw.) oder auch bei Selbstmotivationstrainings. Manche sprechen gar von einem Absolutismus positiver Affirmation, der kritisches Denken verteufelt, der Nachdenken über unliebsamen Wirkungen des eigenen Tuns (hier: des Studiums) unterbindet. Ich habe die Einsicht gewonnen, dass auch negative Gefühle und Einstellungen sehr wohl als erwünscht gelten müssen, um sich wirklich selbst aufzuklären. Jeder Mensch sollte sich bewusstmachen, was er möchte, welche Gefühle ihn leiten.

Jeder Mensch ist gut beraten, sich selbst danach zu fragen, welche Momente am Studium ihm guttun, welche er partout nicht mag. Dann kann er abwägen.

Können Sie kurz eine Affirmationstechnik beschreiben?

Als hilfreich erachte ich z.B. das „Innere Team“, das wir schon unseren Erstsemester-Studierenden am Fachbereich Wirtschaft anbieten. Dieses geht davon aus, dass in jedem von uns zu jedem Thema, zu jeder anstehenden Entscheidung verschiedene innere Stimmen laut werden können, die ganz unterschiedliche Gefühle betonen. Führt man sich das vor Augen, kann man lernen, alle seine inneren Stimmen, die positiven wie negativen, die lauten und leisen anzuhören und deren Austausch unvoreingenommen gleichsam zu moderieren. Wenn ich dann einen Konsens meiner inneren Stimmen erreiche, dass ich mich im Studium anstrengen werde, dann wird das (bis auf weiteres) auch klappen.

Welche Bedeutung haben Pausen für das Lernen?

Große Bedeutung! Ihre Funktion liegt darin, Zeit und Raum für Entspannung zu schaffen. Aus der Arbeitswissenschaft ist bekannt, dass der Mensch typischerweise über den Tag verteilt unterschiedliche Leistungsfähigkeiten aufweist, also unterschiedliche Potenziale hat, Neues aufzunehmen, zu verarbeiten und zu „verdauen“, um es schließlich zu behalten. Diese „Tagesrhythmikkurve“ mit einem Leistungshoch am Vormittag und am späteren Nachmittag kann individuell unterschiedlich sein. In Phasen niedriger Leistungsfähigkeit werden häufiger Pausen notwendig, um die Anspannung in der Arbeit auszugleichen.

Jeder muss auch für sich finden, wie lange seine Pause sein sollte. Immerhin: In der Studienplanung sehen wir regelmäßig nach 90 Minuten eine Pause vor. Um Ermüdung zu unterbinden, wechselt dann meist das Thema, es sei denn, der Lerngegenstand erfordert es, wie bei Soft Skills, dass wir längere Blöcke einziehen, damit man intensiver „eintauchen“ kann.

Innerhalb einzelner Lehrveranstaltungen wird oft der Modus der Arbeit in wesentlich kürzeren Zeitphasen gegliedert. Kurz einmal pausieren kann jeder(r) Studierende innerhalb der Veranstaltungen oder auch beim Lernen zu Hause. Entspannungsübungen wie Progressive Muskelentspannung erleichtern das Abschalten, ebenso sportliche Betätigung, Aufstehen, Herumgehen.

Wie viele Stunden am Tag sollten die Studierenden dem Studium widmen?

Da müssen wir differenzieren zwischen der Durchschnittsnorm für das studentische Workload, die das ECTS vorgibt, und dem individuell als angemessen Empfundenen.

Die offiziöse Arbeitszeitzumutung an Studierende umfasst (auch in den „Semesterferien“ bis auf vier Wochen Urlaub) je Woche 37,5 Stunden und damit 7,5 Stunden je Arbeitstag (Montag bis Freitag). Zieht man ins Kalkül, dass die meisten Studierenden neben dem Studium arbeiten, dann wird klar: Man kann keine 7,5 Stunden Lernzeit pro Tag empfehlen. Meines Erachtens sollte man aber – aktive Beteiligung in Veranstaltungen und Nacharbeiten eingeschlossen – schon 5-6 Stunden Studienzeit täglich schaffen.

Und noch einmal zeigt sich die Bedeutung meines Plädoyers: Frühzeitig im Semester an den Lernprojekten arbeiten, die von Anfang an bekannt sind, und diese Lernaktivitäten kontinuierlich durchziehen. Dann lässt sich auch der „Lernstress“ vermeiden.

Gibt es eine Art „erste Hilfe“ bei Versagensängsten kurz vor der Klausur?

Angst, bei einer Aufgabe wie der nächsten Klausur zu versagen, ist ein schreckliches Gefühl. Sie blockiert mich bzw. ich renne, bildlich gesprochen, davon. Wie kommt es zu dieser Angst? Psychologen loten Hintergründe differenziert aus und geben auch wissenschaftlich fundierte Tipps.

 

Ich kann hier nur meine Erfahrungen wiedergeben: Mir hilft es, mir vor Augen zu führen, ob ich Angst vor meinen eigenen Ansprüchen oder vor den Erwartungen anderer habe. Auf letztere sollte es mir nicht ankommen, die eigenen Ansprüche versuche ich zurechtzurücken: Ich überlege, ob ich „wirklich so viel“ erreichen wollen „muss“. Daneben hilft es mir, wenn ich nicht die „Aufschieberitis“ pflege, einen realistischen Arbeitsplan mit Terminen (auch für gemeinsame Arbeitsphasen mit Kolleginnen und Kollegen) mache, mir gelungene Zwischenschritte vergegenwärtige und Arbeitspausen einlege. In diesen Pausen entspanne ich, indem ich Alltägliches erledige, mich bewege und mich mit Menschen, die mit meiner Arbeit nichts zu tun haben, austausche.

© Fachhochschule Kiel