3D-Modell von Schiffsteilen© FH Kiel

CAPTN-Pro­jekt will Ver­kehr aus re­ge­ne­ra­ti­ven En­er­gi­en rea­li­sie­ren

von Chan­tel­le Bis­sin­ger

Seit Mitte Au­gust ist die MS „Gaar­den“ auf der Kie­ler Förde un­ter­wegs. Die etwa vier Mil­lio­nen Euro teure Plug-in-Die­sel-Hy­brid­fäh­re setzt auf einen elek­tri­schen An­trieb, hat aber den­noch einen Die­sel­mo­tor an Bord. Die Ak­teu­re des CAPTN-Pro­jek­tes, kurz für „Clean Au­to­no­mous Pu­blic Trans­port Net­work“, sind sich si­cher, dass öf­fent­li­cher Ver­kehr in Zu­kunft auch emis­si­ons­frei mit 100 Pro­zent re­ge­ne­ra­ti­ver En­er­gie funk­tio­nie­ren wird. Auch das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Bil­dung und For­schung ist zu­ver­sicht­lich. Es zeich­ne­te das Pro­jekt im ver­gan­ge­nen Fe­bru­ar als einen von 16 Fi­na­lis­ten im Wett­be­werb um fi­nan­zi­el­le För­de­rung aus dem deut­schen Di­gi­ta­li­sie­rungs­fonds aus. Chan­tel­le Bis­sin­ger aus der Cam­pus­re­dak­ti­on sprach mit Schiff­bau-Pro­fes­sor An­dre­as Meyer-Bohe vom Fach­be­reich Ma­schi­nen­we­sen der FH und Da­ni­el Laufs von der CAU aus dem ope­ra­ti­ven Pro­jekt­ma­nage­ment des da­zu­ge­hö­ri­gen „Wa­velab“-Pro­jekts über den neu­es­ten Stand von CAPTN.

Worum geht es bei dem Pro­jekt CAPTN und wer ist in­vol­viert?

Laufs: CAPTN ist eine fach­über­grei­fen­de In­itia­ti­ve, die von der CAU ins Leben ge­ru­fen wurde. Zu­sam­men mit der Fach­hoch­schu­le Kiel, der re­gio­na­len In­dus­trie und In­dus­trie­de­si­gner*innen der Muthe­si­us Kunst­hoch­schu­le be­schäf­ti­gen wir uns mit dem Thema ‚emis­si­ons­frei­er, au­to­no­mer Trans­port‘. Dabei kom­men immer mehr Teil­pro­jek­te dazu. Das Ge­samt­pro­jekt CAPTN hat des­halb mitt­ler­wei­le eine er­heb­li­che Größe er­reicht. Auch der Kie­ler Ober­bür­ger­meis­ter hat sei­nen Zu­spruch für das Pro­jekt kund­ge­tan.

Meyer-Bohe: Es geht bei CAPTN um den zu­künf­ti­gen Per­so­nen­trans­port zu Was­ser und auf dem Land. Es geht um eine Tech­no­lo­gie­wen­de zum schad­stoff­frei­en au­to­no­men ver­netz­ten Ver­kehr. Zwei Kie­ler Hoch­schu­len en­ga­gie­ren sich ver­bind­lich. In der Ver­gan­gen­heit waren In­dus­trie­de­si­gner*innen der Muthe­si­us Kunst­hoch­schu­le be­reits in meh­re­re Vi­sua­li­sie­rungs­vor­schlä­ge in­vol­viert. Ob sich die Hoch­schu­le dem Pro­jekt als drit­ter Part­ner ver­bind­lich an­schlie­ßt, ist der­zeit un­ge­wiss. Wün­schens­wert wäre es na­tür­lich, dass sich alle drei Kie­ler Hoch­schu­len mit ihren je­wei­li­gen Kom­pe­ten­zen dem Pro­jekt final wid­men.

Wie ist das Pro­jekt struk­tu­riert und worum geht es bei den Teil­pro­jek­ten?

Laufs: Für eine bes­se­re Ko­or­di­na­ti­on haben wir eine Un­ter­glie­de­rung des Pro­jekts vor­ge­nom­men. Die Ge­samt­in­itia­ti­ve ist immer noch CAPTN, je­doch gibt es nun Teil­pro­jek­te, wie bei­spiels­wei­se das ‚CAPTN Wa­velab‘, das sich mit der Kon­zep­ti­on eines tech­no­lo­gi­schen Ver­suchs­trä­gers be­fasst oder ‚Förde 5G‘, das die An­wen­dung eines Funk­ge­biets nach dem neuen Mo­bil­funk­stan­dard der fünf­ten Ge­ne­ra­ti­on auf der Kie­ler In­nen­för­de er­pro­ben soll.

Meyer-Bohe: Wir be­schäf­ti­gen uns mit der tech­ni­schen Ent­wick­lung für eine schad­stoff­freie au­to­no­me Elek­tro­fäh­re mit Was­ser­stoff-Tech­no­lo­gie und Brenn­stoff­zel­le. Zum Ge­samt­pro­jekt ge­hö­ren aber auch an­de­re Arten des ver­netz­ten ur­ba­nen Per­so­nen­trans­por­tes, also bei­spiels­wei­se auch Ve­lo­rou­ten, Klein­bus­se oder On-De­mand-Was­ser­ta­xis. Un­se­re Vi­si­on be­steht darin, ein CO2-neu­tra­les ver­netz­tes Mo­bi­li­täts­kon­zept zu ent­wi­ckeln, bei dem die An­zahl und der be­nö­tig­te Ver­kehrs­raum für Pri­vat­au­tos deut­lich re­du­ziert wird. Das deutsch­land­wei­te Al­lein­stel­lungs­merk­mal des CAPTN-Pro­jek­tes ist aber ganz klar der schad­stoff­freie au­to­no­me Ver­suchs­trä­ger und De­mons­tra­tor MS Wa­velab.

Was ist unter die­sem ‚Ver­suchs­trä­ger‘ zu ver­ste­hen und wie sieht er aus?

Meyer-Bohe: MS Wa­velab wird ein Schiff mit zwei we­sent­li­chen Ei­gen­schaf­ten. Zum einen ist es ein Ver­suchs­trä­ger mit dem Ziel, die ein­zel­nen Pro­jek­te zur For­schung und Ent­wick­lung im Ge­samt­sys­tem zu op­ti­mie­ren und ihre Funk­tio­na­li­tät, Ro­bust­heit und In­ter­ak­ti­on unter Re­al­be­din­gun­gen zu er­pro­ben. Zum an­de­ren ist MS ‚Wa­velab‘ ein De­mons­tra­tor mit dem Ziel, die wis­sen­schaft­li­chen Er­geb­nis­se für Fach­pu­bli­kum, In­dus­trie und Po­li­tik zu vi­sua­li­sie­ren und das emis­si­ons­freie au­to­no­me Schiff für Öf­fent­lich­keits­ar­beit, Ak­zep­tanz-Er­hö­hung und Kom­pe­tenz-Mar­ke­ting zu nut­zen. Diese Ei­gen­schaf­ten, in Kom­bi­na­ti­on mit der Was­ser­stoff-Tech­no­lo­gie zur En­er­gie­spei­che­rung, dem hoch­dy­na­mi­schen Fahr­pro­fil, der ex­tre­men Ma­nö­vrier­fä­hig­keit, der Hard- und Soft­ware für au­to­no­mes Fah­ren und der Mög­lich­keit, alles unter Re­al­be­din­gun­gen zu er­le­ben, ist ein­ma­lig und sehr at­trak­tiv. Die MS ‚Wa­velab‘ wird sehr viel Know-how für die nächs­te Ge­ne­ra­ti­on von Fäh­ren in etwa zehn Jah­ren er­schaf­fen.

Seit wann gibt es das Pro­jekt und wann soll es fer­tig­ge­stellt wer­den?

Laufs: An­ge­fan­gen hat alles vor rund drei Jah­ren, im Mai 2017. Die Ge­samt­in­itia­ti­ve des Zu­kunfts­clus­ters ist auf 2030 aus­ge­legt, der Ver­suchs­trä­ger soll­te am bes­ten schon 2021 fer­tig­ge­stellt wer­den. Im Ide­al­fall lässt sich aus der For­schung und der Ent­wick­lung ein Ge­schäfts­mo­dell ab­lei­ten.

Meyer-Bohe: Ja, die Zu­kunft des Pro­jekts ist sehr viel­ver­spre­chend. Je wei­ter wir vor­an­schrei­ten, desto mehr Per­so­nen, also auch Stu­die­ren­de, wer­den ein­ge­bun­den. Mög­li­cher­wei­se wer­den sich spä­ter ei­ni­ge Ab­sol­vent*innen mit einem Start-up-Un­ter­neh­men, das aus dem CAPTN-Pro­jekt her­vor­ge­hen könn­te, selbst­stän­dig ma­chen.

Wie fi­nan­ziert sich ein so auf­wen­di­ges und lang­wie­ri­ges Pro­jekt?

Laufs: Zu un­se­ren Teil­pro­jek­ten ge­hört auch der so­ge­nann­te Zu­kunfts­clus­ter-An­trag. Das dafür not­wen­di­ge Team be­steht aus un­se­rem Pro­jekt­ma­nage­ment, vier Pro­fes­so­ren der CAU, und Prof. Meyer-Bohe von der FH.

Meyer-Bohe: Der An­trag be­zieht sich auf einen Wett­be­werb des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Bil­dung und For­schung, der alle zwei Jahre statt­fin­det. Es haben sich 137 Wett­be­wer­ber aus ganz Deutsch­land be­wor­ben. Wir sind die Ein­zi­gen mit einem Ver­kehrs­kon­zept ‚zu Lande und zu Was­ser‘ und haben es auf die Short­list der letz­ten 16 An­trä­ge ge­schafft. Von die­ser Short­list er­hal­ten die acht Bes­ten eine end­gül­ti­ge För­der­zu­sa­ge, un­se­re Chan­ce ist also for­mal bei 50 Pro­zent. Bis Ende Ok­to­ber haben wir Zeit, un­se­ren An­trag zu op­ti­mie­ren. Wenn wir zu den Ge­win­nern ge­hö­ren, wer­den wir bes­ten­falls 45 Mil­lio­nen Euro För­der­mit­tel für eine neun Jahre lange Zeit­span­ne er­hal­ten. Wir haben wirk­lich gute Chan­cen, aber wenn die Jury sich an­ders ent­schei­den soll­te, wer­den wir in zwei Jah­ren mit einem mo­di­fi­zier­ten An­trag er­neut an­tre­ten.

Wie sieht der ak­tu­el­le Stand aus?

Laufs: Zur­zeit be­fin­den wir uns noch in einer sehr frü­hen Phase; der Kon­zept-Phase, um genau zu sein. Noch kön­nen wir keine tech­no­lo­gi­schen Ant­wor­ten geben oder fer­ti­ge Ak­zep­tanz­stu­di­en vor­le­gen. Es er­klärt sich na­tür­lich von selbst, dass in einem au­to­no­men Trans­port­sys­tem, das selbst­tä­tig fährt, die Si­cher­heit an ers­ter Stel­le ste­hen wird.

Meyer-Bohe: Neben dem Ver­fas­sen des Ge­samt­an­trags ist die FH auch in zahl­rei­chen For­schungs- und Ent­wick­lungs-Pro­jek­ten (F+E) in­vol­viert. Die Fach­be­rei­che Ma­schi­nen­we­sen, In­for­ma­tik & Elek­tro­tech­nik und Me­di­en / Bau­we­sen sind be­reits be­tei­ligt. Mo­men­tan sind wir dabei, die Or­ga­ni­sa­ti­on der F+E-Pro­jek­te auf pro­fes­so­ra­ler Ebene auf­zu­stel­len.

Wie schafft man es, die In­ter­es­sen der Schiff­bau­er*innen und De­si­gner*innen mit­ein­an­der in Ein­klang zu brin­gen?

Laufs: Mit sehr viel Ge­duld und den Prak­ti­ken in­ter­dis­zi­pli­nä­rer Zu­sam­men­ar­beit. Un­se­re Tech­ni­ker*innen, De­si­gner*innen und unser Pro­jekt­ma­nage­ment haben alle ein ge­mein­sa­mes Ziel: sau­be­rer, au­to­no­mer Trans­port. Um das zu er­rei­chen, ist ein reger Aus­tausch es­sen­ti­ell. In in­ter­dis­zi­pli­nä­ren Pro­jek­ten wie die­sem ist das auch gar nicht an­ders denk­bar. Wir er­ar­bei­ten Ideen und Kon­zep­te ge­mein­sam. Na­tür­lich gibt es auch schon mal län­ge­re Dis­kus­sio­nen und un­ter­schied­li­che Mei­nun­gen, aber mit ge­gen­sei­ti­gem Re­spekt und Ver­ständ­nis kamen wir bis­her immer zu sehr guten Lö­sungs­an­sät­zen. Die Zeit dafür neh­men wir uns gerne.

Be­den­ken die De­si­gner*innen die prak­ti­sche Seite und be­rück­sich­ti­gen die Prak­ti­ker*innen das De­sign?

Meyer-Bohe: Dis­kus­sio­nen und Kom­pro­mis­se sind die Grund­la­ge guter Zu­sam­men­ar­beit. Des­we­gen sehen wir uns nicht als Ein­zel­kämp­fer, son­dern als Team. ‚Tech­ni­ker*innen gegen De­si­gner*innen‘ oder ‚CAU gegen FH‘ gibt es bei uns nicht, son­dern nur das Team und sein Ziel: ein op­ti­ma­les Pro­dukt. Wir ar­bei­ten in­ten­siv zu­sam­men, kom­mu­ni­zie­ren kon­struk­tiv und stim­men uns sehr genau ab. Und wenn wir ge­win­nen, dann fei­ern wir alle zu­sam­men!

Mehr In­for­ma­tio­nen unter: https://​www.​captin.​uni-​kiel.​de/​de.

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