Die Grafik illustriert die Zahalen 10 und 01, auf grünen Pixeln.© C. Beer

Big Data – Chancen und Risiken der Massendaten

von viel.-Redaktion

Als der Ex-NSA-Mitarbeiter Edward Snowden im Sommer 2013 pikante Informationen zur flächendeckenden Überwachung weltweiter Internetkommunikation durch Geheimdienste enthüllt, löst er damit einen Skandal aus. Über Nacht wird der Begriff Big Data zum Synonym für etwas Negatives wie den Verlust von Privatsphäre. Misstrauen innerhalb der Bevölkerung macht sich breit. In Zeiten der rasant voranschreitenden digitalen Transformation weicht die Grenze zwischen Intimität und Öffentlichkeit durch die Datenerfassung immer weiter auf. Die Schattenseiten von Big Data sind klar zu erkennen, zivilisatorischer Fortschritt und enorme Potenziale sind dennoch nicht von der Hand zu weisen, wie Prof. Dr. Jens Lüssem und Prof. Dr. Nils Gruschka vom Fachbereich Informatik und Elektrotechnik der Fachhochschule Kiel Laura Berndt erklärten.

Laura Berndt (LB): Was bedeutet Big Data?

 

Jens Lüssem (JL): Der Begriff steht für einen Gesamtprozess, nämlich die Entstehung großer, komplexer Datenmengen, ihre Speicherung, spätere Analyse sowie ihre zielorientierte Verwertung. Die kontinuierliche Digitalisierung unserer Gesellschaft führt zu einem wachsenden Datenvolumen, das sich alle zwei Jahre verdoppelt, Tendenz steigend. Mehrere Millionen E-Mails pro Sekunde und Milliarden von Suchaufträgen bei Google pro Tag stellen nur einen Bruchteil der Daten dar, die Privatpersonen und Unternehmen täglich produzieren.

LB: Was passiert mit den Massendaten nach ihrer Entstehung?

Nils Gruschka (NG): Unternehmen, die Daten generieren, speichern diese zunächst in riesigen Datenbanksystemen dezentral, also auf unzähligen Rechnern. Verteilte Applikationen ermöglichen dann den schnellen Zugriff auf gewünschte Informationen. Bei der anschließenden Analyse, dem Data-Mining, ermöglichen es Informatik- und Statistikverfahren, neue, wertvolle Muster aus den vorhandenen Daten abzulesen. Mit sogenannten MapReduce-Verfahren können Anwenderinnen und Anwender seit einiger Zeit sogar Anfragen parallelisieren und auf mehrere Rechner verteilen, von denen sie gleichzeitig eine Antwort erhalten. Auf diese Weise lassen sich potentiell nützliche Regelmäßigkeiten und Zusammenhänge quasi in Echtzeit bestimmen, zum Beispiel Stauvorhersagen.

LB: Wer profitiert von Big Data?

JL: In der Regel alle, die einen Nutzen aus den Daten und ihrer Weiterverarbeitung ziehen. Dabei reicht das Spektrum von Geheimdiensten über Social-Media-Unternehmen bis hin zu großen Konzernen. Aufgezeichnete Kundendaten und -strukturen gehören für Vertriebs- und Marketingabteilungen zu den beliebtesten Informationen, denn durch sie lassen sich Geschäftsmodelle anpassen und Leistungen optimieren. Kundenschnittstellen werden durch Analysen mittels Big Data bedien- und gestaltbar. Von der Abhängigkeit des Unternehmens von Kundinnen und Kunden und umgekehrt profitieren wiederum Intermediäre, also Zwischenglieder wie Google, die einen Marktplatz anbieten, auf dem personalisierte Werbung geschaltet wird.

LB: Das amerikanische IT-Forschungsinstitut Gartner Inc. bezeichnet Big Data als Öl des 21. Jahrhunderts. Stimmen Sie dem zu?

JL: Definitiv! Wir sprechen derzeit von einer Digitalisierung oder Virtualisierung der Welt. Immer mehr Geschäftsmodelle fußen auf Daten. Dieser Rohstoff scheint unendlich zu sein und wird erst durch eine nutz- und gewinnbringende Analyse zu einem kostbaren Gut. Ob Smartphone, Online-Shopping oder Kreditkartenzahlung, überall im Alltag produzieren wir Daten und hinterlassen Spuren.

NG: Entziehen können wir uns dieser Entwicklung kaum noch, und wenn dann geht dieser Schritt mit Komfortverlust einher. Für die einen bedeutet das, lästiges Kartenlesen statt entspannter Navigationssystemführung, für andere wiederum das umständlichere Kontaktieren von Bekannten per Telefon anstelle einer schnellen WhatsApp-Nachricht. Technischer Komfort zum Preis des Privatsphärenverlusts – diesen Kompromiss geht fast jeder Mensch heutzutage ein.

LB: Welche Risiken birgt Big Data?

NG: Die Speicherung und Auswertung von Daten birgt immer auch Gefahren. Jede Information, die wir preisgeben, macht uns transparenter. Zwar versprechen Unternehmen den sicheren Umgang mit unseren Daten, sicher können wir jedoch nicht sein. GPS-fähige Handys, soziale Netzwerke und mit Kamerasystemen ausgestattete Großstädte sind nur einige Beispiel dafür, dass Bewegungs- und Personenprofile von uns angefertigt werden. Darüber hinaus werden immer mehr Daten so aufgezeichnet, dass wir es gar nicht mitbekommen. Außerdem besteht die Gefahr der Manipulation – denken wir nur einmal an personalisierte Werbung bei Google, die unser Kaufverhalten lenken soll. Eine große Gefahr von Big Data ist die Möglichkeit, mit Daten Geld zu verdienen. Das Interesse an mehr Profit und demnach mehr Informationen wird in unserer Gesellschaft daher nicht sinken.

LB: Aber Big Data eröffnet doch bestimmt auch Chancen und Möglichkeiten?

JL: Sicher. Big Data revolutioniert die Berufslandschaft, schafft neue Tätigkeitsfelder und Jobs, vor allem im IT-Sektor. Dazu zählen unter anderem Dateningenieurinnen und –ingenieure, die für Hard- und Software sowie Netzkomponenten zuständig sind, und Data Scientists, die Rohdaten und Analyseformen bestimmen, um ein gewünschtes Ergebnis zu erzielen. Neue Wirtschaftszweige wie Smart Grid, das heißt die Entwicklung intelligenter Energiesysteme, die einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit darstellen, und Industrie 4.0, eine Vernetzung von IT und Kommunikationstechnik mit der industriellen Fertigung, werden unsere Gesellschaft verändern. Big Data ermöglicht außerdem genauere Vorhersagen, beispielsweise in den Bereichen Erdbebenforschung und Seuchenvorbeugung. So konnte Google bereits aufgrund gehäufter Suchanfragen zu Medikamenten und Symptomen Grippewellen vorhersagen und war den amtlichen Meldestatistiken damit zeitlich voraus. Frühes Vorwarnen kann an dieser Stelle auch Menschenleben retten.

LB: Wie ist Datenschutz in Zeiten von Big Data möglich?

NG: Ein schwieriges Thema. Wenn Google nur wüsste, wonach wir suchen, wäre das noch harmlos. Zusätzlich weiß das Unternehmen jedoch auch, von wem wir E-Mails bekommen und wo wir uns bewegen, da es verschiedene Leistungen anbietet, wie Google Mail und Maps. Die Verknüpfung dieser Daten ist das Problem. Unternehmen sollten zunächst schon aus eigenem Interesse und im Sinne ihrer Kundinnen und Kunden verantwortungsvoll mit den Informationen umgehen. Darüber hinaus muss der Gesetzgeber Rahmenbedingungen schaffen, das heißt den Unternehmen vorschreiben, dass sie diese nicht mit anderen austauschen und möglichst früh anonymisieren. Jedes gespeicherte Datum ist ein potenzielles Risiko. Datenschützerinnen und -schützer raten daher zu Datensparsamkeit: Das heißt so viel wie nötig speichern, um anschließend noch sinnvolle Analysen machen zu können, aber so wenig wie möglich speichern, um die Privatsphäre eines jeden Menschen nicht zu gefährden. In Europa passiert auf diesem Gebiet schon mehr als in den USA, aber das Bundesdatenschutzgesetz muss weiter ausgebaut werden.

LB: Die Sicherheit, dass ein Unternehmen vertrauenswürdig mit unseren Daten umgeht, gibt es nicht. Wie können Privatpersonen ihre Informationen also vorbeugend schützen?

NG: Gesundes Misstrauen ist zunächst ratsam, sollte aber nicht in Technologiefeindlichkeit ausarten. Jeder Mensch muss genau überlegen, was er von sich preisgeben möchte und sich dem System notfalls entziehen. Um sicherzugehen, dass gewisse Daten nicht aufgezeichnet werden, sollten wir eher lokal einkaufen und bar zahlen als online mit Kreditkarte zu shoppen. Wer nicht möchte, dass bei WhatsApp mitgelesen wird, braucht eine Messenger-App mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung wie zum Beispiel Surespot oder Threema. Auch zur Suchmaschine Google gibt es sicherere Gegenbeispiele wie MetaGer.de, DuckDuckGo.com oder Startpage.com. An Alternativen mangelt es nicht, sie sind nur oftmals weniger nutzerfreundlich oder teurer. Wer mehr Privatsphäre möchte, muss hin und wieder einen Kompromiss eingehen, und wem das wichtig ist, dem fällt dieser Schritt nicht schwer.

© Fachhochschule Kiel