Ein Mann und eine Frau sitzen an einem kleinem gelben Tisch.© Kul­tur­gren­zen­los e.V.

Be­geg­nun­gen auf Au­gen­hö­he – der Ver­ein „kul­tur­gren­zen­los“

von viel.-Re­dak­ti­on

Als im April 2015 viele Flücht­lin­ge Deutsch­land er­reich­ten, be­schlos­sen Kie­ler Stu­die­ren­de, einen ei­ge­nen Bei­trag zur Will­kom­mens­kul­tur zu leis­ten. So ent­stand das Pro­jekt „Kul­tur­gren­zen­los“, aus dem mitt­ler­wei­le der Ver­ein „kul­tur­gren­zen­los e. V.“ ge­wor­den ist. Er ver­mit­telt bi­na­tio­na­le Tan­dems, die ihre Frei­zeit ge­mein­sam ver­brin­gen. Kai-Peter Boy­sen stellt ein sol­ches Tan­dem vor:

 

Die Stim­mung im Café Mum&Dad ist ent­spannt und freund­lich. Die Mit­tags­son­ne spen­det Licht und Wärme, es duf­tet nach Ku­chen und fri­schem Kaf­fee. In­mit­ten die­ser be­hag­li­chen Sze­ne­rie sit­zen zwei junge Men­schen: Be­re­ket Brha­ne aus Eri­trea in Ost­afri­ka und Luise Schirmann haben sich das klei­ne Café für ihr heu­ti­ges Tref­fen aus­ge­sucht. Prak­tisch für die Kie­le­rin, die an der FH im sieb­ten Se­mes­ter So­zia­le Ar­beit stu­diert und schon lange mit dem Ge­dan­ken ge­spielt hatte, sich eh­ren­amt­lich für Flücht­lin­ge zu en­ga­gie­ren: „Als ich von der In­itia­ti­ve er­fah­ren habe, war es für mich klar, dass dies genau das Rich­ti­ge für mich ist. Zum einen passt es zu mei­nem Alter, zum an­de­ren finde ich es schön, dass es nicht um ein­sei­ti­ge Hilfe geht, son­dern um ein Mit­ein­an­der, sich ken­nen­ler­nen, etwas ge­mein­sam ma­chen, sich aus­tau­schen und eben von­ein­an­der ler­nen“, er­zählt Schirmann. „Mit einem Fra­ge­bo­gen wer­den vor allem Alter und Hob­bies ab­ge­fragt und so pas­sen­de Teams zu­sam­men ge­bracht“, er­läu­tert sie das Ver­fah­ren.´

Brha­ne wie­der­um wurde in sei­nem Sprach­kurs auf das Pro­jekt auf­merk­sam: „Dort hörte ich von der Mög­lich­keit, mit jun­gen Men­schen aus Deutsch­land zu­sam­men­zu­kom­men. Also habe ich mich an­ge­mel­det und zum Glück hat es ge­klappt.“ Zum ers­ten Mal be­geg­ne­ten sich die bei­den im Ok­to­ber ver­gan­ge­nen Jah­res: „Jeden ers­ten und drit­ten Don­ners­tag im Monat gibt es ein gro­ßes Tref­fen al­ler­Tan­dems und wei­te­rer In­ter­es­sen­ten“, er­klärt Schirmann, „wir waren alle zum Bow­ling ver­ab­re­det, aber Be­re­ket un­dich haben uns schon eine halbe Stun­de vor­her im Café ge­trof­fen, um uns ken­nen­zu­ler­nen.“ Beide ver­stan­den sich auf An­hieb. Und Bow­ling? „Am An­fang war es schwer –aber jetzt bin ich Profi!“, scherzt Brha­ne.

Seit zwei Jah­ren lebt er in Deutsch­land. Nach neun­mo­na­ti­ger Flucht über den Sudan und Li­by­en ge­lang­te er über das Mit­tel­meer nach Ita­li­en, von dort ging es wei­ter nach Frank­reich. „Zu­erst woll­te ich nach Eng­land, weil ich auch gut Eng­lisch spre­che“, meint Brha­ne, „doch dann habe ich­mei­ne Mei­nung ge­än­dert und Deutsch­land wurde mein Ziel.“ Seine erste Sta­ti­on war eine Flücht­lings­un­ter­kunft in Neu­müns­ter, an­schlie­ßend lan­de­te er in Bös­dorf bei Plön. „Wenn man neu ist, ist es nicht ein­fach, man spricht die Spra­che nicht und die Leute haben zum Teil Angst vor einem. Ich kann­te mich im Su­per­markt nicht aus, hatte von vie­lem keine Ah­nung“, schil­dert der junge Mann aus Eri­trea seine erste Zeit in der neuen Hei­mat. „Viel Lan­ge­wei­le“ herrsch­te zu Be­ginn, die er mit Lesen und Fern­se­hen zu über­brü­cken ver­such­te. „Es gibt ganz gute Sen­dun­gen, bei denen man die Spra­che ein biss­chen ler­nen kann.“ Dank des En­ga­ge­ments ei­ni­ger Bür­ge­rin­nen und Bür­ger konn­te er all­mäh­lich Fuß fas­sen: „Ein paar Eh­ren­amt­ler waren sehr nett und haben sich um uns ge­küm­mert, etwas mit uns un­ter­nom­men, uns Weih­nach­ten be­sucht und auch zu sich ein­ge­la­den. Ich hatte ein­mal in der Woche Deutsch­un­ter­richt und habe bei der Feu­er­wehr mit­ge­macht. Das hat Spaß ge­macht und war gut, um Leute ken­nen­zu­ler­nen.“ „In Plön kann­ten dich doch nach­her alle“, wirft seine Tandem­part­ne­rin la­chend ein. „Ja, stimmt, ich war auch im Box­ver­ein und bin ge­klet­tert“, be­stä­tigt der ver­meint­li­che Lo­kal­ma­ta­dor, des­sen Vor­na­me „Be­re­ket“ üb­ri­gens „Bar­re­chet“ aus­ge­spro­chen wird.

Mitt­ler­wei­le ist Brha­ne nach Kiel ge­zo­gen, bei der Woh­nungs­su­che und auch bei Ter­mi­nen in Äm­tern wie dem Job­cen­ter hat ihn Schirmann be­glei­tet: „Es ist sehr wich­tig, dass je­mand dabei ist. Be­son­ders bei der Woh­nungs­su­che, weil viele Woh­nungs­ge­sell­schaf­ten lei­der dicht­ma­chen, wenn sie das Wort Flücht­ling hören – aber auch das haben wir ge­schafft“, kon­sta­tiert sie unter zu­stim­men­dem Ni­cken ihres Tandem­part­ners. Ihre erste Frei­zeit­un­ter­neh­mung war ein ge­mein­sa­mes Ko­chen, be­reits drei Tage vor­her hatte Brha­ne den Teig für den In­je­ra, einen dün­nen Brot­fla­den, der zu jedem Essen ge­reicht wird, zum Gären vor­be­rei­tet. Dazu ser­vier­te er To­ma­ten, Reis, Fleisch und Kar­tof­feln.„Das legt man dann auf den Fla­den und isst es mit den Fin­gern – das war neu und un­ge­wohnt“, er­in­nert sich der Gast, „aber mitt­ler­wei­le geht es ganz gut. Ich habe mich dann mit Senfei­ern re­van­chiert, etwas Tra­di­tio­nel­lem und au­ßer­dem ohne Fleisch.“

Luise Schirmann ge­hört in­zwi­schen zum Orga-Team des „kul­tur­gren­zen­los e. V.“, be­treut mitt­ler­wei­le 270 Tan­dems und or­ga­ni­siert die gro­ßen Tref­fen. Lädt der Ver­ein hier­zu ein, kom­men meist rund 60 Men­schen zu­sam­men, die sich aus­tau­schen und ge­mein­sam etwas un­ter­neh­men, z. B. Pizza ba­cken in der alten Mu, zu dem alle Piz­za­teig oder Le­cke­res für den Belag bei­steu­ern. Auch Bow­len, Brun­chen und Gril­len im Schre­ven­park stan­den schon auf dem Pro­gramm. „Zu den gro­ßen Tref­fen kann üb­ri­gens jeder kom­men, um un­ver­bind­lich zu gu­cken und sich zu in­for­mie­ren.“ Dafür habe sich der Ver­ein be­wusst ent­schie­den, er­klärt die FH-Stu­den­tin. „Viele sind un­si­cher, was sie im Tan­dem ei­gent­lich ma­chen sol­len. Es gibt keine Vor­ga­ben, jedes Tan­dem kann selbst ent­schei­den, wie es seine Zeit ge­stal­ten möch­te. Und wenn es in der Kon­stel­la­ti­on nicht klappt, ist das auch in Ord­nung, wir ver­mat­chen dann neu.“

Bei Luise Schirmann und Be­re­ket Brha­ne indes stimmt die Che­mie, beide be­to­nen, stets „viel Spaß“ ge­habt zu haben. Ge­mein­sam sind sie über den Weih­nachts­markt ge­schlen­dert, sind Schlitt­schuh­lau­fen ge­gan­gen und haben das ira­ni­sche Neu­jahrs­fest in der Stadt­bü­che­rei be­sucht. „Wir tref­fen uns aber auch mit an­de­ren Tan­dems und ver­brin­gen Zeit mit Freun­den“, meint Schirmann. „Ja, sie hat Glück, denn sie wird auch immer gleich mit zu mei­nen Freun­den ein­ge­la­den“, er­gänzt Brha­ne und lacht. Einen fes­ten Ter­min haben die bei­den nicht, aber meist klappt es wö­chent­lich, er­klärt Schirmann. „Wir ver­ab­re­den uns, wie es ge­ra­de passt – manch­mal rufe ich auch an, wenn ich ge­ra­de in der Stadt bin, dann tref­fen wir uns zum Kaf­fee­trin­ken, Eis­essen und wir ler­nen auch ge­mein­sam.“

Nach lan­gem War­ten be­sucht der junge Mann, der in Eri­trea be­reits ein Bau­stu­di­um ab­ge­schlos­sen hat, in­zwi­schen täg­lich für vier Stun­den einen Deutsch­kurs. „Die Spra­che gut zu kön­nen, das ist jetzt das Wich­tigs­te für mich, des­we­gen ler­nen Luise und ich auch zu­sam­men“, er­zählt er. „Die Un­ter­la­gen von mei­nem Stu­di­en­ab­schluss sind noch in Eri­trea, ich hoffe, ich kann sie noch be­kom­men, um das Stu­di­um hier an­er­ken­nen zu las­sen. Falls das nicht klappt, möch­te ich mein Stu­di­um hier fort­set­zen und ab­schlie­ßen“, schil­dert er seine Pläne, und freut sich, dass er dabei von einem Pro­fes­sor der Fach­hoch­schu­le in Lü­beck Un­ter­stüt­zung er­hält, der sich sehr en­ga­giert, mit ihm Auf­ga­ben löst und ihm auch Prak­ti­ka ver­mit­teln möch­te.

Bei allem un­ter­stützt ihn Luise Schirmann, die hofft, dass sich noch wei­te­re Tan­dems bil­den. Die Nach­fra­ge bei den Flücht­lin­gen ist groß, des­we­gen­be­müht sich das Orga-Team, den Ver­ein be­kann­ter zu ma­chen: „Wir haben Flyer ver­teilt und sind auch in Vor­le­sun­gen ge­gan­gen. Nicht nur Stu­die­ren­de, son­dern alle kön­nen mit­ma­chen. Das Kern­al­ter liegt zwi­schen 18 und 30 Jahre, aber wir haben auch Tan­dems an­de­ren Al­ters.“ Neben dem Tandem­pro­jekt or­ga­ni­siert „kul­tur­gren­zen­los e. V.“ an jedem drit­ten Sams­tag einen Frau­en­treff, dar­über hin­aus trifft sich ein­mal pro Woche die Sport­grup­pe. Zudem gibt es Ko­ope­ra­tio­nen mit ver­schie­de­nen Cafés in Kiel, in denen die Tan­dems bei­spiels­wei­se zwei Kaf­fee zum Preis von einem er­hal­ten. Wei­te­re Ko­ope­ra­tio­nen z. B. mit Kinos und Thea­tern seien in der Pla­nung

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