Im Gespräch erklären Imke Deistler vom Frauennotruf Kiel e.V. und Dr. Marike Schmeck, Gleichstellungsbeauftragte an der Fachhochschule Kiel, das Beratungsangebot BASTA. In Kooperation mit dem Frauennotruf Kiel e.V. wollen sie das Thema sexualisierte Grenzverletzungen enttabuisieren und Anlaufstelle für Betroffene sein.
„Darf ich mich wehren?“ Und wenn ja, wie? „Ist es Gewalt, die ich erlebe?“ Grenzüberschreitungen seien zwar im Arbeitsverhältnis leichter zu erkennen als im Beziehungskontext, erklärt Imke Deistler vom Frauennotruf Kiel e.V., aber „Betroffene stellen oft die Frage, ob sie das richtig einschätzen oder übertreiben“, berichtet Dr. Marike Schmeck aus ihren Erfahrungen als Gleichstellungsbeauftragte an der Fachhochschule Kiel.
„Habe ich überhaupt das Recht, mich darüber aufzuregen? Ist es Grund genug, so einen Wind zu machen?“, fasst Imke Deistler weitere Selbstzweifel Betroffener zusammen. Noch immer neigen Betroffene dazu, eigene Grenzüberschreitungen und Gewalterfahrungen zu bagatellisieren und der eigenen Wahrnehmung nicht zu trauen. „Wir wollen das Thema stärker sichtbar machen und enttabuisieren“, erklärt Dr. Marike Schmeck.
„Sexualisierte Grenzverletzung“ ist ein Thema auch an Hochschulen und Universitäten. „Davon ist unsere selbstverständlich auch betroffen“, berichtet Dr. Marike Schmeck. Daraus ergab sich die Notwendigkeit, ein breites Beratungsangebot für Betroffene im Hochschulkontext zu schaffen. Die CAU zu Kiel rückte ins Blickfeld. Denn dort hat sich bereits das Angebot „BASTA“ in Kooperation mit dem Frauennotruf Kiel e.V. etabliert. Das Sozialreferat des AStA der FH traf auf offene Ohren beim AStA der CAU, und so kann sich auch das Beratungsangebot an der Fachhochschule „BASTA“ nennen. Zu Beginn dieses Jahres startete „BASTA“ im AStA-Gebäude, Moorblöcken 1a. „Dort sind alles AStA-Räume. Das schützt die Anonymität und gibt einen sicheren Rahmen“, erklärt Hanna Fuchs, Sozialreferentin beim AStA der FH. Freitags zwischen 9.30 und 14.30 Uhr wird Birthe von Bargen, Mitarbeiterin des Frauennotrufs Kiel, dort Betroffene von sexualisierten Grenzverletzungen aller Geschlechter beraten.
„Beim AStA haben wir bereits mit Vorfällen von Belästigung zwischen Studierenden zu tun gehabt – direkt auf dem Campus, aber auch außerhalb des Campus. Wir finden es wichtig, hinzugucken und Betroffene nicht alleine zu lassen“, erzählt Hanna Fuchs. Aufgrund dieser Erfahrungen setzten sich Sozialreferat des AStA und Gleichstellungsstelle zusammen und beschlossen, dass sie eine Einrichtung vor Ort benötigen. „Wir helfen Dir und machen einen Termin“, spricht Hanna Fuchs direkt die Studierenden an. „Mit BASTA haben wir eine Handhabe, um gut weitervermitteln zu können.“
„Es kommen immer wieder Personen mit dem Thema sexualisierte Grenzverletzungen zu mir in die Beratung. Ich gehe davon aus, dass die Dunkelziffer noch viel höher ist. Das hat mich bestärkt, dass es ein wichtiges Thema an der Hochschule ist“, erklärt auch die Gleichstellungsbeauftragte. Imke Deistler, Geschäftsführerin des Vereins Frauennotruf Kiel, kann dem nur zustimmen. Auch die Beratung an der CAU habe bereits einen hohen Bedarf gezeigt.
„Wir haben an der CAU klein angefangen und wollten zunächst ausprobieren, ob ein Bedarf da ist“, erklärt Imke Deistler. Schnell wurde die anfangs vereinbarte Stundenzahl aufgestockt, Fortbildungen angeboten und an Gremienarbeit teilgenommen. „Das Angebot richtet sich nicht nur an Studentinnen und Studenten, sondern an alle Bereiche“, schlägt Imke Deistler auch den Bogen zur FH.
Während das Angebot allen Betroffenen egal welchen Geschlechts offen steht, hätten es bisher vorwiegend Frauen angenommen. „Es umfasst das ganze Spektrum von Doktorandinnen, die belästigt wurden bis zu Belästigungen unter Studierenden – auch Fälle von beispielsweise Missbrauch in der Kindheit, Stalking oder häuslicher Gewalt.“ Übergriffe in der Kindheit oder außerhalb des Campus sind also weitere Themenbereiche. „Dann ist die Leistungsfähigkeit für das Studium unter Umständen beeinträchtigt oder sogar nicht mehr vorhanden.“ Erschreckend sei auch die hohe Zahl von Opfern von K.-o.-Tropfen. Und es gebe zusätzlich noch ein sehr hohes Dunkelfeld, berichtet Imke Deistler. Unter Gruppen jeglicher Gesellschaftsschicht werde das Untermischen von K.-o.- Tropfen als Kavaliersdelikt angesehen, schildert sie die Entwicklung. „Sie merken nicht, was sie da anrichten. Es ist furchtbar, was da passiert.“ Und da die Studierenden mit dieser Thematik auf Partys konfrontiert werden, betreffe es auch die FH direkt.
Das Spektrum sexualisierter Grenzverletzungen bis hin zu häuslicher Gewalt ist groß – auch bei Studierenden. Die Ansiedelung direkt auf dem Campus mache das Angebot niedrigschwellig. Trotzdem sei die Anonymität gesichert. Im Hochschulkontext machen sich die Auswirkungen des hierarchischen Systems und die Abhängigkeiten bemerkbar, in der sich Angestellte und Studierende befinden, fasst Imke Deistler zusammen und richtet ihren Blick in die tägliche Praxis. „Wir erarbeiten zusammen, was das Anliegen der Betroffenen ist, was sie möchten und brauchen. Für längere Beratungsanliegen haben wir die Möglichkeit die Beratung beim Frauennotruf fortzuführen.“ Auch die nicht ganz so schweren Fälle haben ihre Berechtigung in der Beratung. „Beispielsweise wenn Kommentare die Würde verletzten und die Person herabsetzen. Manches, was als dummer Witz gemeint ist, ist gar nicht witzig.“
„Wir sind mit der ‚Richtlinie der FH Kiel zum Schutz vor Diskriminierung, Benachteiligung, sexualisierter Grenzverletzung und Gewalt‘, was Antidiskriminierungsschutz angeht, verhältnismäßig gut aufgestellt. Diese Richtlinie präzisiert die Umsetzung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) im Hochschulkontext. Speziell zum Thema sexualisierte Grenzverletzung werden seitens der Gleichstellungsstelle immer wieder Workshops angeboten, um alle Hochschulmitglieder zu sensibilisieren“, berichtet Dr. Marike Schmeck über die momentane Situation. Offenkundig besteht ein hoher Beratungsbedarf. Es sei wichtig, das Thema kontinuierlich präsent zu halten und Betroffenen Mut zu machen, sich Hilfe zu holen. „Betroffene müssen sich ernst genommen fühlen und vertrauen können. Durch die Aktionen, Maßnahmen und Angebote positioniert sich die Hochschule und übernimmt Verantwortung.“ Für ein möglichst breites Beratungsangebot ist die Kooperation mit dem Frauennotruf entscheidend. „Der große Vorteil ist, dass wir in der Kooperation unsere Kompetenzen zusammenlegen, um gemeinsam mit der betroffenen Person nach bestmöglichen Lösungen zu suchen.“ Die Gleichstellungsbeauftragte bekräftigt zudem: „Das Angebot richtet sich zwar insbesondere an Studierende, die aufgrund der Abhängigkeit besonders schützenswert sind, aber selbstverständlich können auch alle anderen Hochschulmitglieder das Angebot in Anspruch nehmen.“
„BASTA“ – Beratung von Betroffenen sexualisierter Grenzverletzungen
AStA-Gebäude, Moorblöcken 1a
freitags zwischen 9.30 und 14.30 Uhr.
Termine nach Vereinbarung
Telefon: 01522-3295664
E-Mail: basta@fh-kiel.de
Marike Schmeck, Imke Deistler und Hanna Fuchs betonen abschließend, dass sich niemand von dem Namen Frauennotruf abschrecken lassen solle. „Das Angebot steht allen offen, unabhängig ihrer geschlechtlichen Zuordnung“, sagt Hanna Fuchs „alle können betroffen sein: von verletzenden Kommentaren angefangen, bis hin zu körperlichen und psychischen Übergriffen.“