Im Sommer 2021 studieren etwa 170 junge Menschen mit einem Fluchthintergrund an der FH Kiel. Die Mehrheit sind Studierende aus Syrien (etwa 90 Studierende) und dem Iran (etwa 30 Studierende). Auch aus Ländern wie Afghanistan, Irak, Palästina und der Türkei sind Studierende geflüchtet, um sich in Deutschland ein neues Leben in Sicherheit aufzubauen. Einer von ihnen ist der 25-jährige Anas Arodake, der anlässlich des Weltflüchtlingstags seine abenteuerliche Geschichte erzählt.
In seiner Kindheit und Jugend hat der aus Damaskus in Syrien stammende Anas Arodake mitansehen müssen, wie der 2011 im Land ausgebrochene Bürgerkrieg immer näher rückte. „Es war schließlich einfach nichts mehr sicher. Man ist nur noch für das Nötigste aus dem Haus gegangen, weil einfach alles passieren konnte. Menschen wurden als Geiseln genommen. Einen Abend saßen wir als Familie beim Essen und haben gehört, wie in der Nähe eine Rakete ein Gebäude zerstört hat“, erinnert sich der heute 25-Jährige. Als er schließlich zum Wehrdienst eingezogen werden sollte, war ihm klar, dass er seine Heimat verlassen musste. „Damals bedeutete Wehrdienst, dass man für den Krieg fertig gemacht wird, und das wollte ich auf keinen Fall. Da meine Familie keine Möglichkeit hatte, mir einen Aufenthalt im Ausland zu finanzieren, habe ich mich 2015 auf eigene Faust auf den Weg gemacht.“
Während seiner Reise über das Nachbarland Libanon in die Türkei wurde dem damals 19-Jährigen bald klar, dass man eine Flucht nach Europa zwar planen kann, aber unvorhersehbare Unwegsamkeiten auch die besten Pläne zunichte machen können. „Ich war gezwungen, mir einen Schleuser zu suchen, der mich auf eine der griechischen Inseln bringen würde. Der erste Schleuser ist mit meinem Geld abgehauen. Beim zweiten Anlauf hat uns die Küstenwache erwischt und wieder an Land gebracht. Der dritte Schleuser wollte, dass wir in ein kaputtes Schlauchboot steigen. Im vierten Anlauf hat es dann geklappt.“ Ohne Habseligkeiten oder Geld kam Anas Arodake auf der griechischen Insel Lesbos an, beantragte Asyl und landete in dem Auffanglager Moria.
Aufgrund seiner guten Englisch-Kenntnisse half der Syrer im Lager als Dolmetscher aus und landete nach zahlreichen Zwischenstationen im September 2015 im Ankunftszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Neumünster. „Zusammen mit vier anderen Geflüchteten bin ich dann weitervermittelt worden und schließlich in Süderende, einem Friesendorf auf der Nordseeinsel Föhr, gelandet. Es war alles grün und hübsch. Die Menschen waren sehr freundlich und ich habe mich schnell mit dem Pastor Dirk Jeß und seiner Frau Diana angefreundet. Das Ehepaar hat mir Deutsch beigebracht und schließlich auch das Angebot gemacht, bei ihnen zu wohnen“, erinnert sich der Syrer.
Um seinen Traum vom Studium in Deutschland in die Tat umzusetzen, musste Anas Arodake Deutsch lernen. Ein Föhrer Ehepaar bot ihm seine Wohnung in Hamburg an, wo er 2016 eine Sprachschule besuchte und 2017 eine Ausbildung zum Hotelkaufmann beginnt. „Allerdings habe ich bald festgestellt, dass dieser Weg nicht der richtige war und es mit Dirk Jeß besprochen. Einen Tag später rief er mich zurück und erzählte mir von einem Termin an der FH Kiel.“ Im März 2019 ging Anas Arodake zusammen mit dem Team der Zentralen Studienberatung der FH seine Möglichkeiten durch. Da er die schulischen Leistungen aus seiner Heimat hatte anerkennen lassen und über die benötigten Sprachkenntnisse verfügte, bewarb er sich erfolgreich für einen Informatik-Studienplatz.
Auch sein zweites Ziel, in Deutschland wirtschaftlich unabhängig zu sein, hat Anas Arodake erreicht: „Das Team der Studienberatung bot mir eine HiWi-Stelle an, damit ich auf Messen für Interessierte dolmetschte und ihnen von meinem Weg erzählte. Mittlerweile bin ich jedoch HiWi an meinem Fachbereich, wo ich als Mathe-Tutor tätig bin. Außerdem arbeite ich auf Honorarbasis für das BAMF als Dolmetscher. Ich bin dankbar für die Chancen aber auch stolz, es in Deutschland schließlich geschafft zu haben“, freut sich der Informatik-Student.
Angesprochen auf kulturelle Unterschiede zwischen seiner neuen Heimat und Syrien, nennt Anas Arodake zuerst die Offenheit und Toleranz, die er hier erfahren hat: „Wenn ich mit Menschen ins Gespräch komme, begegnen sie mir offen und interessiert. Man kann bei Themen auch unterschiedlicher Meinung sein, ohne dass man sich deswegen zerstreiten würde. In meiner Heimat gibt es eine gespaltene Gesellschaft. Man zeigt lediglich oberflächliche Höflichkeit, tatsächlich steht man anderen Meinungen als der eigenen jedoch eher abweisend gegenüber.“
Auch das Leben an der Hochschule in Kiel ist ein anderes als im syrischen Damaskus, erinnert sich Anas Arodake: „Hier kann man sich mit kostenlosen Online-Materialien bestens vorbereiten. An der Uni in Damaskus mussten wir teure Skripte von Studierenden kaufen. Das Verhältnis zu den Professoren war in Syrien ebenfalls ein ganz anderes. Wenn einen der Professor persönlich nicht mochte, hatte man keine Chance, eine Prüfung zu bestehen. Auf der anderen Seite war es für manche auch ohne gute Leistungen möglich, weiterzukommen.“
Geflüchtete und Asylbewerber, die sich für ein Studium an der FH Kiel interessieren, können sich an Dörte Heller und Marina Makurath von der Zentralen Studienberatung wenden, die online Sprechstunden anbieten. Olesya Rienecker vom International Office berät Studierende mit im Ausland erworbenen Bildungsnachweisen auf ihrem Weg, eine in Deutschland gültige Hochschulzugangsberechtigung zu erlangen. Schließlich kümmert sich auch das Studienkolleg mit dem Programm INTEGRA - Integration von Flüchtlingen ins Fachstudium um die Studienanliegen Geflüchteter.