Ein unscheinbarer Dichtungsring aus Gummi verursachte den Absturz der Challenger-Rakete. Bei der Zugkatastrophe in Eschede hatte das Material des Radreifens versagt. Solch tragische Ereignisse zeigen, wie wichtig das Verständnis komplexer mechanischer Systeme ist. Dieses Verständnis wird von Ingenieurinnen und Ingenieuren erarbeitet und angewandt, sagt Dr. Patrick Moldenhauer. Deshalb möchte der neue Professor für „Technische Mechanik“ bei seinen Studierenden der Fachhochschule Kiel (FH Kiel) vor allem Verantwortungsbewusstsein wecken.
Jana Tresp (JT): Wie würden Sie Ihr Arbeitsgebiet beschreiben?
Patrick Moldenhauer (PM): Ich beschäftige mich mit Kontaktmechanik. Ich schaue mir an, was geschieht, wenn sich zwei Oberflächen berühren. Im Schiff- oder Flugzeugbau beispielsweise werden einzelne Rumpfteile vernietet – diese Nähte müssen einiges aushalten.
An der FH Kiel habe ich die Professur „Technische Mechanik“ übernommen. Das ist ein Grundlagenfach der ingenieurwissenschaftlichen Ausbildung. Daher genießt es, ähnlich wie die Mathematik, oftmals nicht den besten Ruf bei den Studierenden. Im Grunde knüpfe ich an den Physikunterricht aus der Schule an. Eine Aufgabe der Technischen Mechanik besteht darin, im Vorfeld von Bau- oder Konstruktionsprojekten Modelle abzuleiten, um Berechnungen anzustellen und Vorhersagen treffen zu können. Das Fach kann also durchaus spannend sein, zum Beispiel wenn Dinge nicht funktionieren. Bei Häusern oder Kränen gehen wir davon aus, dass sie einen soliden Stand haben und nicht einfach umfallen. Dem ist aber nur so, weil Ingenieurinnen oder Ingenieure vorher Festigkeitsberechnungen durchgeführt haben. Der defekte Dichtungsring aus Gummi war für die tiefen Temperaturen, die beim Start der Challenger-Rakete entstanden waren, nicht ausgelegt. Im gefrorenen Zustand konnte er nicht richtig abdichten. Dadurch kam es zu der verheerenden Explosion.
JT: Was möchten Sie den Studierenden vermitteln?
PM: Gerade an den eben beschriebenen Beispielen wird deutlich, welche Verantwortung Ingenieurinnen und Ingenieure haben können. Dafür möchte ich die Studierenden sensibilisieren. Deshalb würde ich mich freuen, wenn während der Vorlesungen weniger mit dem Handy rumgespielt und mehr aufgepasst wird. Es könnte sein, dass die Studierenden im späteren Berufsleben an Projekten arbeiten, von denen auch Menschenleben abhängen. Da mein Background die Reifenentwicklung ist, weiß ich, wovon ich spreche. In diesem Bereich geht es vor allem auch um Sicherheit. Einen geplatzten Reifen auf der Autobahn wünscht man niemandem.
Und noch etwas liegt mir am Herzen. Durch die Abschaffung der Wehrpflicht und die Umstellung von G9 auf G8 an vielen deutschen Schulen sind die Studienanfängerinnen und -anfänger deutlich jünger als noch vor einigen Jahren. Dadurch sind viele, wenn sie an die Hochschule kommen, auch in ihrer Persönlichkeitsentwicklung noch nicht so weit. In Zukunft wird es daher immer mehr Aufgabe der Professorinnen und Professoren sein, den Studierenden neben den Lehrinhalten auch zu vermitteln, was wichtig im Beruf und im Leben ist. In der Schule besteht das Ziel darin, ein Abschlusszeugnis zu bekommen. Dabei sind alle mehr oder weniger auf sich allein gestellt. An der Hochschule ist es im Grunde nicht anders. Im Unternehmen arbeiten wir in den seltensten Fällen an einem persönlichen Produkt, sondern an einem großen Ganzen – beispielsweise einem Auto. Viele Ingenieurinnen und Ingenieure tragen dazu bei, dass am Ende des Förderbandes ein fertiges Auto aus der Fabrikhalle rollt. Das bedeutet, nicht das individuelle Ergebnis ist entscheidend, sondern das Endergebnis. Daher möchte ich den Studierenden vermitteln, weniger an sich selber zu denken, und versuchen, sie durch verschiedene Lehrkonzepte an übergeordnete Aufgaben heranzuführen.
JT: Wie sind Sie an die FH Kiel gekommen?
PM: Die Stadt Kiel gefällt mir schon lange. Als Kind habe ich mit meinen Eltern oft Urlaub bei meiner Großmutter an der Förde gemacht. Ich bin gerne am Wasser und interessiere mich für Schiffe. In Emden war ich bis vor kurzem im Vorstand eines Windjammer-Fördervereins tätig, und in Bremerhaven habe ich mich im Förderverein des dort ansässigen Schifffahrtsmuseums engagiert.
In den vergangenen acht Jahren bin ich insgesamt fünfmal umgezogen – davon dreimal aus beruflichen Gründen. Irgendwann habe ich mich gefragt: Soll ich weiter an Orte ziehen, wo ich Arbeit habe, oder dorthin, wo ich mich wohlfühle? Danach stand für mich fest, dass ich mit meiner Familie in Kiel leben möchte. Der Wunsch, als Dozent zu arbeiten, besteht zwar auch schon länger, aber für die lehrende Tätigkeit an der FH brauchte ich drei Jahre Berufserfahrung. Daher bin ich nach der Promotion erst einmal in die Wirtschaft gegangen und war bei Continental in Hannover in der Reifenentwicklung tätig. Die Stellenanzeige der FH Kiel kam eigentlich ein bisschen zu früh für mich, aber ich musste die Chance ergreifen. Mit der Zusage ist für mich ein Traum in Erfüllung gegangen. Deshalb muss ich mich auch immer nochmal kneifen.
JT: Wo kommen Sie ursprünglich her?
PM: Ich komme aus dem Raum Hannover und habe dort auch begonnen, an der Leibniz Universität Hannover Maschinenbau zu studieren. Als mein damaliger Forschungsgruppenleiter an die TU Freiberg nach Sachsen berufen wurde, bin ich als Mitarbeiter mitgegangen und habe dort auch promoviert. Die Freiberger Hochschule ist zwar sehr stark auf Bergbau spezialisiert, da ich aber über Fahrzeugreifen promoviert hatte, passte das ganz gut.
JT: Was erwarten Sie von der Zukunft an der FH Kiel?
PM: Ich freue mich darauf, dass es bald losgeht. Noch bin ich dabei alles vorzubereiten, ich sitze in meinem Büro und fülle das weiße Blatt, das vor mir liegt langsam mit Inhalt – im übertragenen Sinne. Mein Fokus liegt erst einmal auf der Lehre. Wenn ich mich gut eingelebt habe, würde ich mich natürlich gerne wieder mit der Forschung beschäftigen. Ein privates Ziel besteht darin, den Bootsführerschein zu machen. Und ich möchte mich gerne ab und zu in Lehrveranstaltungen von Kolleginnen und Kollegen setzen, insbesondere im Bereich Schiffbau.