Eine Frau sitzt in ihrem Büro und lächelt freundlich in die Kamera. Der Pullover, den sie trägt ist kräftig Blau.© H. Ohm

„Alle, die familiäre Verantwortung übernehmen, sind für uns ‚Familie‘!“

von Laura Berndt

Berlin, Tripolis, Kairo – Noha Stephanos Weg nach Kiel war verschlungen. Die gebürtige Ägypterin arbeitete nach ihrem Politikwissenschaftsstudium in Bonn zunächst an verschiedenen deutschen Botschaften im Sprachendienst und im Projektmanagement. Seit September 2014 koordiniert sie an der Fachhochschule Kiel (FH Kiel) das Familienservicebüro und steht dabei allen Hochschulangehörigen in familiären Fragen mit Rat und Tat zur Seite. Die ideale Stelle, wie Stephanos findet, denn seit der Geburt ihres ersten Kindes kennt sie die alltäglichen Probleme beim Jonglieren von Beruf und Familie nur allzu gut.

Laura Berndt (LB): Seit wann beschäftigen Sie sich mit dem Thema der Vereinbarung von Beruf und Familie?

Noha Stephanos (NS): Die Schwierigkeiten, die entstehen können, wenn sich Menschen für Beruf und Kind entscheiden, habe ich in meinem Familien- und Freundeskreis beobachten können, noch bevor ich selbst Mutter wurde. Der Mangel an Kinderbetreuungsmöglichkeiten hat viele – besonders Frauen – förmlich dazu gezwungen, ihre Arbeit niederzulegen und das, obwohl sie hochqualifiziert waren und einen tollen Karrierestart hingelegt hatten. So richtig habe ich mich dann mit dem Thema auseinandergesetzt, als meine Kinder auf der Welt waren und ich wieder arbeiten wollte. Plötzlich stand ich vor vielen Fragen: Ermöglicht es mir das System, beide Lebensbereiche zu vereinen? Finde ich überhaupt eine Stelle oder muss ich mich in Bewerbungsgesprächen für meine Entscheidung, Mutter zu werden, rechtfertigen und bin am Ende doch nur ein Risiko, weil mein Kind auch mal krank werden könnte? Arbeite ich Voll- oder doch lieber Teilzeit? Und wo kann ich meinen Nachwuchs in dieser Zeit unterbringen?

LB: Wie haben Sie es geschafft, beide Seiten in Einklang zu bringen?

NS: Um ehrlich zu sein, ist es immer ein Spagat. Die Bedürfnisse der Kinder und die Anforderungen der Arbeitsstelle ändern sich stetig und das eine soll unter dem anderen und umgekehrt nicht leiden. Viele Menschen setzen sich unter Druck, weil sie alles perfekt machen wollen. Ein Rezept für eine gute Work-Life-Balance gibt es nicht – jeder Mensch muss sich sein eigenes Konzept erarbeiten. Bei unserem ersten Kind promovierte mein Mann gerade und konnte vieles von zuhause aus erledigen, so hatte ich die Möglichkeit, Vollzeit zu arbeiten. Nun ist es andersherum, er arbeitet Vollzeit und ich habe eine Teilzeitstelle. Unsere Kinder sind mittlerweile im Kindergarten, was vieles erleichtert. Dennoch gibt es Tage, an denen sie krank sind und wir beide eigentlich arbeiten müssten. Da hilft es, dass wir flexible Arbeitszeiten haben. Erziehende müssen einfach viel Organisationstalent beweisen.

LB: Hat sich die Situation für Menschen, die beide Lebensbereiche vereinbaren wollen, in den vergangenen Jahren verbessert?

NS: Die gesellschaftliche Sicht hat sich – unterstützt durch politische Entscheidungen – geändert. Moderne Partnerschaftsmodelle lösen traditionelle Geschlechterrollen ab und viele Väter tragen in gleichen Maßen Verantwortung für familiäre Aufgaben, Tendenz steigend. Immer mehr Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber gehen flexibel mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie um und ermöglichen Arbeitsplatzteilung oder sogar Heimarbeitstage. Auch in puncto Kinderbetreuung hat sich einiges getan. Krippen, Kindergärten, Tagesmütter und -väter, Babysitting, Leihomas und -opas oder auch mobile Mamis, also geschultes Personal, das direkt nach Hause kommt, können Lösungen sein. Ausbaufähig ist das System aber dennoch. Am Ende hängt vieles vom Familienbild eines jeden Menschen ab. Unternehmen nützt kein Code of Ethics etwas, wenn es Führungskräfte oder Personal hat, das kein Verständnis für schwierige familiäre Situationen aufbringt, oder sich der Illusion einer strikten Trennung von Arbeit und Privatleben hingibt. In diesem Punkt müssen alle noch mehr aufeinander zugehen. An unserer Hochschule ruft das Thema der Vereinbarkeit von Studium, Beruf und Familie viel Empathie und Bereitschaft zur Unterstützung hervor. Das neugegründete Familienservicebüro soll diese Haltung weiter ausbauen.

LB: Was ist das Familienservicebüro und welche Aufgaben hat es?

NS: Es ist ein Teil des Gleichstellungsbüros – entsprechend offen und divers ist auch unser Familienbegriff. Wir verstehen uns einerseits als Anlaufstelle für Studierende und Beschäftigte, die sowohl hochschulische als auch familiäre Aufgaben haben. Bei uns können sie Fragen, Kritik und Ideen anbringen – wobei bei uns nicht nur die klassische Vater-Mutter-Kind-Konstellation Gehör findet. Alle, die familiäre Verantwortung übernehmen, sind für uns ‚Familie‘; darunter auch Menschen, die ihre Angehörigen pflegen. Ihnen allen geben wir Informationen zu finanziellen und sozialen Hilfsangeboten der Stadt, des Landes sowie des Bundes und leiten sie an die jeweiligen Stellen weiter. Andererseits koordinieren wir die Umsetzung der Maßnahmen, die im Rahmen des „audit familiengerechte hochschule“ vereinbart wurden.

LB: Worum handelt es sich beim „audit familiengerechte hochschule“?

NS: Um ein von der berufundfamilie gGmbH entwickeltes Instrument für die familiengerechte Gestaltung der Arbeits-, Forschungs- und Studienbedingungen an Hochschulen. Über mehrere Monate haben unsere Studierenden und Beschäftigten in Workshops Maßnahmen vereinbart, die nun in den kommenden drei Jahren umgesetzt werden sollen – so lange hat die FH Kiel das Zertifikat „familiengerechte Hochschule“, danach stellen wir uns einer Re-Auditierung. In dieser Zeit möchten wir erste Schritte unternehmen, die Bedürfnisse von Beschäftigten und Studierenden mit familiären Aufgaben wahrzunehmen und bei der Gestaltung des hochschulischen Betriebes zu berücksichtigen.

LB: Welche Maßnahmen wurden seit der abgeschlossenen Auditierung bereits umgesetzt?

NS: Zuerst die Gründung des Familienservicebüros. Darüber hinaus ist in Zusammenarbeit mit einer studentischen Initiative des Fachbereichs Soziale Arbeit und Gesundheit im Gebäude der Studentenwerkskita in der Grenzstraße ein Eltern-Kind-Raum entstanden. Hier können Kinder spielen, während ihre Mütter und Väter arbeiten. Der Raum wurde durch großzügige Spenden des AStA und StuPa sowie der FH finanziert, das Spielzeug haben uns Hochschulangehörige geschenkt. Wer diese Möglichkeit nutzen möchte, kann sich jederzeit für mehr Informationen bei mir melden. Generell stehen wir aber erst am Anfang unserer Arbeit.

LB: Gibt es schon konkrete Pläne für die kommenden Monate?

NS: Ich würde gerne die Babysitterbörse wiederbeleben, die der AStA ursprünglich organisiert hat. Wer Interesse daran hat, Kinder zu betreuen, kann sich dort in eine Datenbank eintragen, Hochschulangehörige mit Kind können dann auf das Angebot zurückgreifen. Die Betreuung kann sowohl zuhause als auch auf dem Campus stattfinden, dafür haben wir den Eltern-Kind-Raum. Außerdem möchte ich die Vernetzung von Menschen mit verschiedenen familiären Situationen vorantreiben, ihnen zeigen, dass sie mit ihren Sorgen nicht alleine sind, und somit vielleicht zur gegenseitigen Unterstützung beitragen. Auch ein mobiler Spielekoffer steht auf meiner Wunschliste. Er soll Hochschulangehörigen die Möglichkeit bieten, ihre Kinder auf dem Campus, das heißt auch in Büros oder in der Vorlesung, zu beschäftigen. Es gibt noch eine Menge zu tun und ich freue mich sehr auf die Umsetzung weiterer Maßnahmen, aber auch darauf, meine To-do-Liste durch Wünsche und Anregungen, die mir jederzeit zugetragen werden können, zu erweitern.

Kurzbiographie

seit Februar 2014: Koordinatorin des Projekts „familiengerechte Hochschule“ an der FH Kiel 
2007 - 2011: Sprachendienst der deutschen Botschaften in Kairo und Tripolis 
2004 - 2007: Projektmanagement an verschiedenen Nicht-Staatlichen-Organisationen im In- und Ausland 
1998 - 2004: Politikwissenschaftsstudium an der Universität Bonn

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