„Der Wind hat viel bewegt“, resümiert Dr. rer. nat. Alois Peter Schaffarczyk mit Blick auf seine vergangenen 30 Jahre an der FH Kiel. Zum Ende des Sommersemesters 2023 geht der Professor für Technische Mechanik und Mathematik in den Ruhestand. Dass er über die Jahre gemeinsam mit Studierenden und Kolleg*innen an zahlreichen Forschungsprojekten für und mit der Industrie gearbeitet hat, davon zeugt unter anderem der kleine Windpark auf der Fensterbank seines Büros.
Den Anstoß für seine Windenergie-Forschung gab 1993 die Anfrage eines Kollegen, bereits kurz nachdem der gebürtige Niedersachse seine Professur an der FH Kiel angetreten hatte. „Er sagte: ‚Da ist so ein Landwirt an der Westküste, der möchte im Frühjahr seine Windmühle als Ventilator nutzen, um die Obstblüte vor Nachtfrösten zu schützen. Kann man das als Diplomarbeit durchrechnen lassen?‘“, erinnert sich Prof. Schaffarczyk und erläutert: „Gemeint war mit der ‚Windmühle‘ eine Windkraftanlage ENERCON E30 mit einer Nabenhöhe von 50 Metern.“ Man konnte: „Die Studentin, die sich des Themas annahm, fand schließlich heraus, dass der Stromverbrauch viel zu hoch wäre“, räumt der Professor ein. Und trotzdem: Die Aufgabe hat es dennoch in eines der zahlreichen Lehrbücher geschafft, die Prof. Schaffarczyk über die Jahre verfasst hat: „Das ‚Crazy-Farmer-Problem‘“, sagt er und lacht.
Bis zum Crazy-Farmer-Problem hatte seine Expertise besonders im Bereich der Strömungstechnik gelegen. Nach seinem Physikstudium mit anschließender Promotion in Göttingen arbeitete er ab 1986 zunächst sechs Jahre lang bei der Atlas Elektronik GmbH in Bremen. Sein Wissen über die Lehre weiterzugeben sei jedoch immer irgendwie sein Ziel gewesen, erinnert sich der 67-Jährige. So kam die Ausschreibung der Professur für Technische Mechanik und Mathematik am Fachbereich Maschinenwesen der FH Kiel 1992 wie gerufen. Ausgehend von der ersten Diplomarbeit bildete sich neben Strömungsmechanik und Mathematik bald ein weiterer Schwerpunkt seiner Forschung und Lehre: die Aerodynamik von Windturbinenblättern. „Ziel ist es, mittels Berechnungen am Computer die äußere Form der Blätter der Windturbinen strömungsgünstiger zu machen“, erklärt Schaffarczyk.
„Die technische Welt ist international“, betont der Professor. So hat er nicht nur Lehrbücher in deutscher, englischer und chinesischer Sprache veröffentlicht, sondern ist beruflich auch viel gereist – unter anderem nach Japan, Marokko und in die USA. Bereits seit den 1990er-Jahren nahm er regelmäßig an den jährlichen Treffen der International Energy Agency Wind (IEA Wind) teil, die sich über Entwicklungen in der Windindustrie austauscht. Den in der seit der Jahrtausendwende wachsenden Branche steigenden Bedarf an internationalen, akademisch ausgebildeten Fachkräften hat Schaffarczyk früh erkannt. So engagierte er sich für die Einrichtung des englischsprachigen Masterstudiengangs Wind Energy Engineering in Kooperation mit der Hochschule Flensburg, der seit 2012 angeboten wird.
Stolz ist Prof. Schaffarczyk außerdem auf ein weiteres Projekt: Baltic Thunder. „Ein Kollege aus den Niederlanden rief mich 2008 an und sagte: ‚Wir veranstalten hier dieses Rennen, wollt ihr nicht auch teilnehmen?‘“ So sollte es kommen. Er tat sich mit seinem Kollegen Prof. Dr.-Ing. Jan Henrik Weychardt vom Fachbereich Maschinenwesen der FH Kiel zusammen, und sie bündelten ihre Expertise für Strömungstechnik einerseits und Maschinenbau andererseits. Seit 2008 betreuen die beiden das interdisziplinäre studentische Projekt, bei dem Studierende ein Gegenwindfahrzeug konstruieren und damit im niederländischen Den Helder im jährlichen internationalen Wettbewerb Racing Aeolus gegen Teams aus aller Welt antreten.
Für die Zukunft wünscht sich Prof. Alois Peter Schaffarczyk, dass das interdisziplinäre Projekt an der FH Kiel weiterläuft und dass die Studierenden und Absolvent*innen weiterhin einen Beitrag zur Energiewende leisten. Als Lehrbeauftragter wird er der Hochschule vertretungsweise noch für ein weiteres Semester erhalten bleiben. Und auch in seinem Ruhestand werde die Windenergie weiterhin eine Rolle spielen: „Die Lehrbücher bleiben, und es stehen immer mal Neuauflagen an“, sagt er. „Und wenn Kolleginnen und Kollegen um Rat fragen, helfe ich gerne.“