Natur- und Um­welt­päd­ago­gik

Natur- und Um­welt­päd­ago­gik ver­mit­telt an­hand prak­ti­scher Er­fah­rung Wis­sen über die Natur und über öko­lo­gi­sche Zu­sam­men­hän­ge.

  1. Ziele
  2. Hin­ter­grund
  3. Auf­ga­ben von Leh­rern und Er­zie­hern
  4. Recht­li­ches
  5. Li­te­ra­tur
  6. Link

1. Ziele

Ziel ist, bei der Be­völ­ke­rung eine Grund­la­ge für öko­lo­gisch sinn­vol­les Han­deln, Ver­hal­ten und Ent­schei­den zu legen. Dabei sol­len nicht nur In­ter­es­se und Freu­de an der Natur ge­weckt, son­dern auch die Gren­zen und dar­aus ab­zu­lei­ten­den Not­wen­dig­kei­ten an­thro­po­ge­ner (mensch­li­cher) Ein­grif­fe im Wech­sel­wir­kungs­ge­fü­ge auf­ge­zeigt wer­den.

Die Kin­der und Ju­gend­li­chen kön­nen an­hand ihrer Na­tur­er­fah­run­gen ihre Stel­lung als Mensch, in den Öko­sys­te­men, der Natur er­fas­sen und über die Um­welt­bil­dung er­ler­nen, dass die in­tel­lek­tu­el­len und tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten ver­ant­wort­li­ches Han­deln er­for­dern. Ge­ra­de in den frü­hen Jah­ren, der Kind­heit, wer­den so ge­nann­te Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten, Werte und Nor­men ge­prägt und vom jun­gen Men­schen über­nom­men, sprich ge­bil­det. Der Spaß am Na­tur­er­leb­nis kann die jun­gen Men­schen, ge­ra­de bei Kin­dern aus stark be­sie­del­ten Ge­bie­ten, wie der Gro­ß­stadt, dazu brin­gen, dass sie sich als wich­ti­gen Teil der Natur er­ken­nen. Kin­der und Ju­gend­li­che kön­nen nicht nur die Natur als äu­ße­re Le­bens­um­welt des Men­schen di­rekt päd­ago­gisch an­ge­lei­tet er­le­ben, son­dern auch ent­spre­chen­de Um­ge­bun­gen, also ihre Um­welt, selbst­stän­dig er­kun­den und spie­le­risch er­fah­ren. Dafür gibt es im Be­reich der Stadt (geo­gra­phi­scher Be­griff) die „städ­ti­schen Na­tur­er­fah­rungs­räu­me“ (amt­li­cher Be­griff).

Ein städ­ti­scher Na­tur­er­fah­rungs­raum (NERaum) ist eine städ­ti­sche Grün­flä­che, die weit­ge­hend oder völ­lig ihrer na­tür­li­chen Ent­wick­lung über­las­sen ist, so dass sie zu einer qua­si­na­tür­li­chen Rück­ent­wick­lung (z.B. mit­tels Re­na­tu­rie­rung) ge­lan­gen kann. Diese min­des­tens ein Hekt­ar große Flä­che ist in ein Wohn­ge­biet in­te­griert oder an sei­nem Rand ge­le­gen, also leicht zu­gäng­lich für den all­täg­li­chen Auf­ent­halt von Kin­dern und Ju­gend­li­chen, die hier ohne päd­ago­gi­sche Be­treu­ung und ohne Ge­rä­te spie­len kön­nen. Min­des­tens die Hälf­te des NERau­mes ent­wi­ckelt sich ohne mensch­li­che Ein­grif­fe, die an­de­ren Teil­räu­me kön­nen durch ex­ten­si­ve Pfle­ge bzw. Be­wei­dung offen ge­hal­ten wer­den. Mit der Be­reit­stel­lung von NE­Räu­men wird das Ziel ver­folgt, die be­reits weit fort­ge­schrit­te­ne Ent­frem­dung der Her­an­wach­sen­den von der Natur zu über­win­den und den Kin­dern eine für ihre phy­sisch und psy­chisch ge­sun­de Ent­wick­lung wich­ti­ge all­täg­li­che Be­geg­nung mit der Natur mög­lich zu ma­chen.

2. Hin­ter­grund

Weder der städ­ti­sche Le­bens­raum noch Pres­se, Funk und Fern­se­hen er­mög­li­chen das Ler­nen aus dem di­rek­ten Kon­takt zur Natur. Dem­zu­fol­ge sind die Kennt­nis­se vie­ler Men­schen über ihren bio­lo­gi­schen Le­bens­raum oft sehr un­voll­stän­dig. Die Um­welt­päd­ago­gik will diese Lücke mit be­wusst ge­stal­te­ten Ak­ti­vi­tä­ten fül­len. Be­son­ders Kin­der im Vor- und Grund­schul­al­ter sind sehr gut für jede Art von Na­tur­er­fah­rung zu be­geis­tern.

Eine Mög­lich­keit bie­tet das Ler­nen auf Bau­ern­hö­fen. Zu­meist auf Schul- und Lern­bau­ern­hö­fen kön­nen Kin­der unter sach­kun­di­ger An­lei­tung prak­ti­sche Er­fah­run­gen mit Kopf, Herz und Hand sam­meln. Seit ei­ni­gen Jah­ren gibt es in Städ­ten auch so­ge­nann­te Na­tur­er­fah­rungs­räu­me, in denen Kin­der frei und un­be­treut spie­len kön­nen (siehe Ge­sell­schaft­li­cher Nut­zen der Na­tur­er­zie­hung). Eine be­son­de­re Form der Na­tur­päd­ago­gik ist in der Idee des Wald­kin­der­gar­tens ver­wirk­licht.

Da­ne­ben ist Natur- und Um­welt­er­zie­hung auch ein wich­ti­ges An­lie­gen der Er­wach­se­nen­bil­dung.

Da mensch­li­che Ge­sell­schaf­ten der Natur mit wirt­schaft­li­chen In­ter­es­sen ent­ge­gen­tre­ten, ist es auch ganz wich­tig, sinn­vol­le Gren­zen des mensch­li­chen Han­delns auf­zu­zei­gen. So muss es selbst­ver­ständ­lich sein, bei Na­tur­er­leb­nis­ak­tio­nen die ge­setz­li­chen Vor­ga­ben des Ar­ten­schut­zes ein­zu­hal­ten und auch zu er­läu­tern. Jeder Teil­neh­mer kann ver­ste­hen, warum In­di­vi­du­en ge­schütz­ter Arten nicht der Natur ent­nom­men wer­den dür­fen.

Ge­ra­de in Kin­dern und Ju­gend­li­chen darf man aber keine Exis­tenz­ängs­te we­cken, son­dern man kann sie über­zeu­gen, dass auch klei­ne Schrit­te sinn- und wir­kungs­voll sind: etwa ein klei­ner Teich im Schul­bio­top oder eine Ak­ti­on, bei der Am­phi­bi­en über die Stra­ße ge­tra­gen und vor dem Ver­kehrs­tod ge­ret­tet wer­den. Ne­ben­bei kann die­ses ge­mein­sa­me Stre­ben nach einem na­tur­ver­bun­de­nen Ziel einen guten Bei­trag zur För­de­rung des So­zi­al­ver­hal­tens leis­ten.

In­ten­si­ves Wahr­neh­men der Natur war schon immer der Motor wis­sen­schaft­li­chen Fort­schritts. Ob New­ton den Apfel vom Baum fal­len sah, Kon­rad Lo­renz mit sei­nen Gän­sen schwim­men ging oder Erwin Schrö­din­ger seine Katze be­müh­te (und im Ge­dan­ken­ex­pe­ri­ment in Le­bens­ge­fahr brach­te), um das Pa­ra­do­xon der Quan­ten­me­cha­nik zu er­läu­tern -- die Neu­gier­de auf die Natur war immer der Fort­schritts­mo­tor. Natur- und Um­welt­er­zie­hung ist des­halb nicht ein­fach nur eine Um­welt­schutz­maß­nah­me, son­dern kann einen sehr brei­ten Bil­dungs­auf­trag er­fül­len. Dazu zählt etwa auch die Bio­tech­nik, die von der Natur her­vor­ge­brach­te er­staun­li­che tech­ni­sche Lö­sun­gen ana­ly­siert und schon immer den tech­ni­schen Fort­schritt der Mensch­heit be­flü­gelt hat. Doch päd­ago­gisch gute Ar­beit muss auch Ge­gen­ge­wich­te set­zen - und das ist in die­sem Fall ein Um­welt­be­wusst­sein, das die Mensch­heit davor be­wah­ren muss, ge­fähr­li­che Gren­zen zu über­schrei­ten.

3. Auf­ga­ben von Leh­rern und Er­zie­hern

All­ge­mein wird emp­foh­len, dass Leh­rer und Er­zie­her durch Kurse von Um­welt­aka­de­mi­en oder Ver­an­stal­tun­gen von Na­tur­schutz­ver­bän­den Mög­lich­kei­ten der Natur- und Um­welt­päd­ago­gik ken­nen­ler­nen, aber auch über Re­geln des Na­tur­schut­zes Be­scheid wis­sen.

Seit Ok­to­ber 2008 be­steht die Mög­lich­keit des Ba­che­lor­stu­di­ums "Um­welt­päd­ago­gik". Die­ses wird an der Hoch­schu­le für Agrar- und Um­welt­päd­ago­gik Wien an­ge­bo­ten und bil­det Um­welt­päd­ago­gen aus, die in den oben ge­nann­ten Be­rei­chen tätig sein kön­nen. Die Schwer­punk­te des Stu­di­ums lie­gen in den Be­rei­chen Um­welt, nach­hal­ti­ger Ent­wick­lung, Päd­ago­gik, lo­ka­ler und re­gio­na­ler Nach­hal­tig­keit, dem ver­ant­wor­tungs­vol­len Um­gang mit Na­tur­räu­men, Kli­ma­schutz, En­er­gie­ef­fi­zi­enz, all­ge­mei­nen Bil­dungs­wis­sen­schaf­ten, Per­sön­lich­keits­bil­dung und Pro­zess­ma­nage­ment.

Seit 2010 gibt es in Ber­lin / Bran­den­burg eine be­rufs­be­glei­ten­de Aus­bil­dung "Ganz­heit­li­che Na­tur­päd­ago­gik" für Leh­rer, Er­zie­her, Päd­ago­gen, So­zi­al­ar­bei­ter usw. bei Blatt­werk Na­tur­päd­ago­gik Ber­lin. Blatt­werk Na­tur­päd­ago­gik Ber­lin ist 2009 als of­fi­zi­el­les De­ka­de-Pro­jekt der UNESO aus­ge­zeich­net wor­den (UN-De­ka­de "Bil­dung für Nach­hal­ti­ge Ent­wick­lung"). Blatt­werk schafft Ver­bin­dun­gen zwi­schen der Na­tur­päd­ago­gik nach Jo­seph Cor­nell und der kos­mi­schen Er­zie­hung nach Maria Montesso­ri. Ele­men­te der Wild­nis- und Er­leb­nis­päd­ago­gik, der Kunst, der Fo­to­gra­fie, des Er­zäh­lens und des Im­pro­vi­sa­ti­ons­thea­ters be­rei­chern die Aus­bil­dung zum ganz­heit­li­chen Na­tur­päd­ago­gen.

Wich­tig ist es, von den In­ter­es­sen der Kin­der aus­zu­ge­hen. Mit Vor­schlä­gen in Rich­tung Na­tur­er­leb­nis kann man die Neu­gier­de der Kin­der we­cken und Ak­tio­nen durch­füh­ren, die ihnen auch Spaß ma­chen. Hier ist das spon­ta­ne In­ter­es­se der Kin­der an Kör­per­er­fah­rung sehr hilf­reich, z.B. der Spaß am Bar­fu­ß­ge­hen, wel­ches die Be­zie­hung zur Natur un­mit­tel­bar er­leb­bar macht und auch die Be­ob­ach­tungs­ga­be an­de­rer Sinne schärft. Einen guten Ein­stieg kann ein Aus­flug zu einem Bar­fu­ß­park, das An­le­gen eines Bar­fu­ßpfads mit den Kin­dern, Fu­ß­gym­nas­tik­spie­le oder auch gut vor­be­rei­te­te Bar­fuß­wan­de­run­gen bie­ten, bei denen auch Zeit für Na­tur­be­ob­ach­tung ein­ge­plant wer­den soll­te.

Ein wei­te­res sehr gut ge­eig­ne­tes Er­leb­nis­an­ge­bot ist eine "Tüm­pel­sa­fa­ri", bei der man Was­ser­tie­re mit Aqua­ria­ner­net­zen oder Tee­sie­ben fängt und in Be­ob­ach­tungs­glä­ser setzt. Mit einer Lupe oder ggf. einem Mi­kro­skop kann man sie ge­nau­er an­schau­en. Meist will man mehr über Ei­gen­schaf­ten und Le­bens­wei­se der Tiere er­fah­ren. Viel­leicht kann man eine Ex­per­tin für Er­klä­run­gen ge­win­nen. Aber auch wenn jede Teil­neh­men­de ihr Wis­sen bei­trägt, kann ein de­tail­lier­tes Bild zu­stan­de­kom­men. Unter dem As­pekt des Ge­mein­schafts­er­leb­nis­ses ist dies viel­leicht sogar der bes­se­re An­satz. Ganz we­sent­lich ist na­tür­lich, bei einer sol­chen Ak­ti­on ver­ant­wort­li­ches Han­deln zu for­dern: Die Tiere dür­fen nicht be­schä­digt oder ge­quält wer­den und müs­sen so bald wie mög­lich ihre Frei­heit wie­der­be­kom­men.

Beim Be­trach­ten der Tiere kann der Wis­sens­schatz der Grup­pe durch ge­ziel­te Fra­gen zu Tage ge­för­dert wer­den: Was ist das für ein Tier? Wovon lebt es? Wo sind die Augen? Schwimmt es oben oder unten im Be­ob­ach­tungs­glas? An­hand die­ser Fra­gen kön­nen Kin­der be­ob­ach­ten, ver­schie­de­ne Blick­win­kel ein­neh­men und Rück­schlüs­se zie­hen. Dies wirkt sich po­si­tiv auf die ko­gni­ti­ve Ent­wick­lung aus und legt eine Basis für na­tur­wis­sen­schaft­li­ches Ler­nen.

Einen Teich auf dem Ge­län­de einer Schu­le, KiTa etc. an­zu­le­gen, ist ein schö­nes, aber auf­wän­di­ges Pro­jekt, das Pla­nung und Ar­beits­ein­satz er­for­dert, aber zwei­fel­los ein guter Bau­stein für die Na­tur­er­zie­hung der Kin­der ist.

4. Recht­li­ches

Die Ent­nah­me von Le­be­we­sen aus der Natur kann schnell na­tur­schutz­recht­li­che Be­lan­ge be­rüh­ren (vgl. Ein­griffs­re­ge­lung, Ar­ten­schutz, Na­tu­ra 2000). Glei­ches gilt für Be­ob­ach­tun­gen in frei­er Natur (dazu ge­hö­ren ar­ten­schutz­recht­lich im Zwei­fels­fall auch Stadt-Bio­to­pe), wobei die Emp­find­lich­kei­ten der Arten ge­gen­über der An­nä­he­rung von Men­schen stark va­ri­iert. Daher emp­fiehlt sich re­gel­mä­ßig, Ak­tio­nen in frei­er Natur sowie das Ma­nage­ment von in­ner­städ­ti­schen Bio­to­pen mit der nächst­ge­le­ge­nen Na­tur­schutz­be­hör­de (v.a. Land­kreis-Ver­wal­tun­gen, Ver­wal­tun­gen grö­ße­rer Städ­te) ab­zu­stim­men.

5. Li­te­ra­tur

Bun­des­amt für Na­tur­schutz (Hrsg.) (2008): Kin­der und Natur in der Stadt. Spiel­raum Natur: Ein Hand­buch für Kom­mu­nal­po­li­ti­ker, Pla­ner sowie El­tern und Agen­da-21-In­itia­ti­ven. BfN-Skrip­ten 230, Bonn. Bezug – Down­load

Göp­fert, Hans (1994): Na­tur­be­zo­ge­ne Päd­ago­gik. Beltz Ver­lag, Wein­heim. ISBN 978-3892710325

Her­bert Ös­ter­rei­cher: Pra­xis der Um­welt­bil­dung, in: Nor­bert Kühne (Hrsg.): Pra­xis­buch So­zi­al­päd­ago­gik, Band 7, Bil­dungs­ver­lag EINS, Trois­dorf 2009, ISBN 978-3-427-75415-2

Reidl, K.; Sche­mel, H. J.; Blin­kert, B. (2005): Na­tur­er­fah­rungs­räu­me im be­sie­del­ten Be­reich – Er­geb­nis­se eines in­ter­dis­zi­pli­nä­ren For­schungs­pro­jekts. Nür­tin­ger Hoch­schul­schrif­ten Nr. 24, Hoch­schu­le für Wirt­schaft und Um­welt Nür­tin­gen-Geis­lin­gen

Sche­mel, H.-J. (1998): Na­tur­er­fah­rungs­räu­me. Ein hu­ma­n­öko­lo­gi­scher An­satz für na­tur­na­he Er­ho­lung in Stadt und Land. – An­ge­wand­te Land­schafts­öko­lo­gie, Heft 19. Bun­des­amt für Na­tur­schutz, Bonn-Bad Go­des­berg

Jo­seph Cor­nell ""Mit Cor­nell die Natur er­le­ben"

6. Web­links
www.​umw​eltb​ildu​ng.​de – Bun­des­ver­band ANU und Por­tal zur Um­welt­bil­dung

www.​umw​eltb​ildu​ng.​at – Ös­ter­rei­chi­sches Forum Um­welt­bil­dung

www.​umw​eltb​ildu​ng.​ch – Por­tal der Stif­tung Um­welt­bil­dung Schweiz

Hoch­schu­le für Agrar- und Um­welt­päd­ago­gik Wien

Blatt­werk Na­tur­päd­ago­gik Ber­lin www.​blattwerk-​natur.​de

 

Quel­le: de.​wikipedia.​org/​wiki/​Natur-_​und_​Umweltpäd­ago­gik