ERM-Re­port 2023

Die kürz­lich ver­öf­fent­lich­te Stu­die der Hoch­schu­le Lu­zern und der Fach­hoch­schu­le Kiel hat bör­sen­no­tier­te Un­ter­neh­men in Deutsch­land, Ös­ter­reich und der Schweiz un­ter­sucht, um Ein­fluss­fak­to­ren für eine grö­ße­re Wi­der­stands­fä­hig­keit in Kri­sen­zei­ten zu iden­ti­fi­zie­ren. Wir hat­ten die Ge­le­gen­heit, mit der Stu­di­en­au­to­rin, Prof. Dr. Ute Va­ni­ni, ein In­ter­view zu füh­ren.

Was wird im ERM-Re­port 2023 genau un­ter­sucht?
Ziel des ERM-Re­ports ist es, die fi­nan­zi­el­le Kri­sen­an­fäl­lig­keit bzw. -wi­der­stands­fä­hig­keit von Un­ter­neh­men in der DACH-Re­gi­on zu un­ter­su­chen. Hin­ter­grund ist, dass die Deut­sche Bun­des­bank be­reits 2014 eine ähn­li­che Stu­die zur Fi­nanz- und Wirt­schafts­kri­se ver­öf­fent­licht hat, die sich al­ler­dings nur auf deut­sche Un­ter­neh­men bezog. Wir haben diese Vor­un­ter­su­chung auf­ge­grif­fen, er­wei­tert und auf die DACH-Re­gi­on über­tra­gen. Unser Haupt­ziel ist es, zu ana­ly­sie­ren, wie wi­der­stands­fä­hig oder an­fäl­lig Un­ter­neh­men in Kri­sen­si­tua­tio­nen sind und wel­che Fak­to­ren dies be­ein­flus­sen.

Von wem wird der Re­port er­stellt?
Das Ganze ist ein mehr­jäh­ri­ges Ko­ope­ra­ti­ons­pro­jekt zwi­schen dem In­sti­tut für Fi­nanz­dienst­leis­tun­gen der Hoch­schu­le Lu­zern und dem In­sti­tut für Con­trol­ling der Fach­hoch­schu­le Kiel. Die Hoch­schu­le Lu­zern macht den ERM-Re­port schon etwas län­ger und wir sind 2020 ein­ge­stie­gen. Ur­sprüng­lich war der Re­port aus­schlie­ß­lich auf die Schweiz ge­rich­tet. Spä­ter ent­stand die Idee, einen Ver­gleich zwi­schen Deutsch­land und der Schweiz an­zu­stel­len, da beide Län­der eine kul­tu­rel­le Ähn­lich­keit auf­wei­sen, aber den­noch un­ter­schied­li­che An­sät­ze in der Wirt­schafts­po­li­tik haben. Seit­dem wird jedes Jahr eine em­pi­ri­sche Stu­die zu einem Be­reich des Ri­si­ko­ma­nage­ments er­stellt sowie in einem Re­port ver­öf­fent­licht und auf dem ERM-Sum­mit in der Schweiz der Un­ter­neh­men­s­pra­xis vor­ge­stellt.

Wer wurde kon­kret be­fragt?
Wir haben keine di­rek­te Be­fra­gung durch­ge­führt, son­dern ex­ter­ne Daten über eine Da­ten­bank er­ho­ben, die Bi­lanz- und GuV-Daten bör­sen­no­tier­ter Un­ter­neh­men, also fi­nan­zi­el­le Kenn­zah­len, ver­öf­fent­licht. Die Daten wur­den von uns be­rei­nigt, so dass ins­ge­samt 2.039 Da­ten­sät­ze aus­ge­wer­tet wer­den konn­ten. Es wur­den 505 bör­sen­no­tier­te Un­ter­neh­men aus Deutsch­land, Ös­ter­reich und der Schweiz über einen Zeit­raum von fünf Jah­ren ana­ly­siert. Der Un­ter­su­chungs­zeit­raum er­streckt sich von 2018 - also vor der Co­ro­na-Pan­de­mie - bis 2022. In die­sem Zeit­raum gab es also wei­te­re Kri­sen­er­eig­nis­se wie den Ukrai­ne­krieg, die En­er­gie­kri­se und In­fla­ti­on.

Kön­nen Sie die wich­tigs­ten Er­geb­nis­se des Re­ports zu­sam­men­fas­sen?
Wir haben fest­ge­stellt, dass die fi­nan­zi­el­len Aus­wir­kun­gen auf die Un­ter­neh­men – ge­mes­sen an der Um­satz­ren­di­te - deut­lich stär­ker waren als in der Fi­nanz- und Wirt­schafts­kri­se 2007/2008. Das liegt auch daran, dass es nicht wie da­mals nur ein Kri­sen­er­eig­nis gab, son­dern meh­re­re Kri­sen­er­eig­nis­se hin­ter­ein­an­der. Das ist lei­der die Welt, in der wir heute leben, und ei­ni­ge Un­ter­neh­men sind mitt­ler­wei­le in einem Dau­er­kri­sen­mo­dus, da sie sich nicht mehr er­ho­len kön­nen.

Wir konn­ten auch fest­stel­len, dass Schwei­zer Un­ter­neh­men bei den kri­sen­re­si­li­en­ten Un­ter­neh­men über­re­prä­sen­tiert sind, wäh­rend die deut­schen Un­ter­neh­men eher im Mit­tel­feld ein­zu­ord­nen waren. Am Bei­spiel der Co­ro­na-Zeit kann man das viel­leicht deut­lich ma­chen: Die Deut­schen haben sehr um­fang­rei­che Fi­nanz­hil­fen ge­währt, die Schweiz hat zwar auch fi­nan­zi­el­le Hil­fen ge­ge­ben, aber bei wei­tem nicht in dem Um­fang wie Deutsch­land. Man hätte daher ver­mu­ten kön­nen, dass deut­sche Un­ter­neh­men auf­grund der um­fas­sen­de­ren Co­ro­na­hil­fen bes­se­re Er­geb­nis­se er­zie­len. Je­doch war das nicht der Fall. Ggf. haben die Stüt­zungs­maß­nah­men auch not­wen­di­ge An­pas­sungs­pro­zes­se in ei­ni­gen Un­ter­neh­men ver­hin­dert.

Wir haben dann auch Ein­fluss­fak­to­ren iden­ti­fi­zie­ren kön­nen. Ins­be­son­de­re zeigt sich, dass Un­ter­neh­men be­son­ders kri­sen­re­si­li­ent sind, wenn sie viel Ei­gen­ka­pi­tal haben. Das spie­gelt sich auch in den Daten wider: Schwei­zer Un­ter­neh­men sind im Durch­schnitt stär­ker durch Ei­gen­ka­pi­tal fi­nan­ziert als deut­sche.

Es gab noch ein wei­te­res sehr span­nen­des Er­geb­nis, näm­lich Ver­än­de­rung in den Bran­chen. An einem Bei­spiel lässt sich das er­läu­tern: Im Bau- und Im­mo­bi­li­en­be­reich sind klas­si­scher­wei­se viele kri­sen­re­si­li­en­te Un­ter­neh­men - das hat die Ver­gan­gen­heit ge­zeigt. Woh­nun­gen waren stark nach­ge­fragt, es wurde viel ge­baut, die Zin­sen waren nied­rig und Im­mo­bi­li­en waren ei­gent­lich immer ein Er­folgs­mo­dell. Was wir jetzt sehen, ist, dass Woh­nungs­bau­un­ter­neh­men zu­neh­mend zu den kri­sen­an­fäl­li­gen Un­ter­neh­men ge­hö­ren, ins­be­son­de­re wenn sie stark durch Fremd­ka­pi­tal fi­nan­ziert sind. Die Zin­sen stei­gen, es gibt Eng­päs­se bei Bau­ma­te­ria­li­en und Lie­fer­pro­ble­me. Und es wird teu­rer, Woh­nun­gen zu bauen, was dazu führt, dass Real Es­ta­te Un­ter­neh­men zu­neh­mend Pro­ble­me be­kom­men.

Gibt es si­gni­fi­kan­te Un­ter­schie­de zwi­schen den Län­dern?
Man kann sehen, dass Schwei­zer Un­ter­neh­men unter den kri­sen­re­si­li­en­ten Un­ter­neh­men über­re­prä­sen­tiert sind. Schwei­zer Un­ter­neh­men schei­nen eine be­son­ders gute struk­tu­rel­le Grund­la­ge zu haben. Ös­ter­rei­chi­sche Un­ter­neh­men sind un­ter­re­prä­sen­tiert bei den kri­sen­an­fäl­li­gen Un­ter­neh­men. Dabei ist al­ler­dings zu be­ach­ten, dass die Stich­pro­be der ös­ter­rei­chi­schen Un­ter­neh­men sehr klein ist, da es ins­ge­samt sehr we­ni­ge bör­sen­no­tier­te ös­ter­rei­chi­sche Un­ter­neh­men gibt, was die Er­geb­nis­se etwas ver­zer­ren kann. Die Deut­schen sind über­re­prä­sen­tiert bei den Un­ter­neh­men, die in der Mitte lie­gen, also weder be­son­ders gut noch be­son­ders schlecht sind.

Warum ist der Re­port von Be­deu­tung?
Der Re­port ist des­halb wich­tig, weil wir ver­su­chen, Schluss­fol­ge­run­gen für das Ma­nage­ment im All­ge­mei­nen und das Kri­sen­ma­nage­ment im Spe­zi­el­len ab­zu­lei­ten. Un­ter­neh­men kön­nen dar­aus ler­nen, wie wich­tig es ist, die Schwä­chen und Ab­hän­gig­kei­ten des ei­ge­nen Ge­schäfts­mo­dells zu ken­nen. Wenn neue Kri­sen auf­tau­chen, ist es ent­schei­dend zu wis­sen, wel­che Aus­wir­kun­gen diese auf das Ge­schäfts­mo­dell haben könn­ten. Es ist ris­kant, sich dar­auf zu ver­las­sen, dass das, was bis­lang gut funk­tio­niert hat, auch in Zu­kunft funk­tio­nie­ren wird. Wir stel­len fest, dass Un­ter­neh­men, die über lange Zeit er­folg­reich waren, etwas ri­si­ko­blind wer­den. Dies kann zu Pro­ble­men im Ge­schäfts­mo­dell füh­ren und dazu, dass Un­ter­neh­men plötz­lich kri­sen­an­fäl­lig wer­den, ob­wohl sie es vor­her nie waren. Diese Er­kennt­nis bil­det einen zen­tra­len As­pekt un­se­res Be­richts.

Kann man den kom­plet­ten ERM-Re­port nach­le­sen?
Der Be­richt steht kos­ten­frei zu Ver­fü­gung. Wer In­ter­es­se an dem voll­stän­di­gen Be­richt hat, kann sich gerne ent­we­der über Lin­kedIn oder per E-Mail bei mir mel­den.

Vie­len Dank für das In­ter­view. 

Text: Phi­li­ne von Kro­sigk
(ver­öf­fent­licht: 27.11.2023-ra)