Von der Fachhochschule Kiel ins World Wide Web
Prof. Dr. Jan-Hendrik Meier zeigt, wie ein weiterer Schritt in Richtung Digitalisierung an Hochschulen aussehen kann. Nach dem Vorbild einiger amerikanischer Hochschulen zeichnet er dieses Semester seine Vorlesung „Kosten- und Leistungsrechnung“ auf und lädt sie auf Youtube hoch. Wir haben ihn getroffen und einige Fragen dazu gestellt.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Ihre Vorlesung aufzuzeichnen und auf einer Videoplattform hochzuladen?
Die Ursprungsidee war, dass die Studierenden die Möglichkeit haben, die Vorlesung auch im Internet anzuschauen. Wer nicht zur Vorlesung kommen kann, kann dann von zuhause aus lernen. Die Idee hatte ich vor drei Jahren das erste Mal. Wegen der technischen Umsetzung habe ich das lange vor mir hergeschoben. Das ist einfach viel Arbeit. Meine eigenen Ansprüche waren auch ziemlich hoch. Ich habe mich an Youtube-Tutorials orientiert, die hochprofessionell produziert werden und das kann man in einer laufenden Vorlesung gar nicht schaffen.
Aber die Videos brauchte ich jetzt, denn ich habe jetzt eine sehr große Gruppe Studierender in der Vorlesung. Da wäre es schön, wenn einige Leute gar nicht in den Hörsaal kommen, weil der Hörsaal sonst überläuft. Deswegen setzte ich die Videos auf einem kleineren und einfacheren Niveau um.
Wie viele Studierende sind in der Vorlesung?
Ich stehe zurzeit vor der Vollkohorte des zweiten Semesters BWL, das können zum Teil 100 Leute sein. Ich habe 80 Plätze im Hörsaal. Die ersten Tage war es noch sehr voll, inzwischen hat sich das eingependelt.
Sie haben eben schon die technische Umsetzung angesprochen. Wie machen Sie die Aufnahmen?
Total einfach. Ich habe eine hochauflösende Webcam und ein Stativ aus dem Techikmarkt. Und das reicht. Die Software ist kostenlos im Internet verfügbar. Ich habe eine Software, die auch Youtube-Blogger für das Aufnehmen benutzen und eine Schnittsoftware, um ein Bild vorzusetzen und ein- und auszublenden. Mehr mache ich damit gar nicht.
In den Videos blenden Sie dann Ihre Folien ein und filmen sich selbst.
Richtig. Ich bin selber klein auf dem Bild, rechts am Rand zu sehen und meine Folien sind links ganz groß. Der Computer fügt beides, während ich die Vorlesung halte, zusammen. Ich male auch in die Folien, das zeichnet der Computer auch auf.
Ein bisschen anpassen muss ich mich für die Aufnahmen. Ich kann nichts mehr an der Tafel entwickeln, sonst laufe ich ja aus der Kamera raus. Das muss ich jetzt auf der Folie machen. Aber trotzdem ist das eine sehr angenehme Arbeitsumgebung.
Wie viel Zeit brauchen Sie für die Onlineaufzeichnung im Vergleich zu einer herkömmlichen Vorlesung?
Gar nicht viel. Ich komme eine viertel Stunde vor der Vorlesung rein und baue das Stativ auf und brauche auch eine viertel Stunde um abzubauen. Im Moment noch schneide ich die Filme in meinem Büro, wobei das weitestgehend in einer viertel Stunde erledigt ist. Und dann stelle ich das Video ins Netz. Vielleicht brauche ich jede Woche eine Stunde extra. Ich überlege, ob ich das nächstes Semester als Livestream mache, so dass das direkt von der Vorlesung ins Internet geht und gar nicht mehr geschnitten wird.
Für die Studierenden sind die Aufzeichnungen ja sehr hilfreich, auch in Hinblick auf die Klausurvorbereitung. Sie können die Vorlesung ja quasi immer wieder hören…
Na klar, man kann sich alles nochmal angucken. Wir haben ja auch Vorlesungen, die auf meiner aufbauen. Das heißt, die Kolleg*innen können dann zum Beispiel sagen: „Gucken Sie doch noch mal bei Herrn Meier in die Vorlesung, da ist die Cashflow-Rechnung drangekommen“. Man kann also nochmal zurückverweisen, das ist das Tolle an der Sache. Man muss dann nicht auf Bücher zurückverweisen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Bücher relativ unbeliebt sind. Youtubevideos sind einfacher, man kann dadurch leichter lernen. Ich stelle immer wieder fest, dass unsere Studierenden Youtube-Tutorials zum Lernen benutzen. Die Videos werden auch immer professioneller, sind kostenlos, auch teilweise gut erklärt. Und selber erwische ich mich auch dabei, wie ich die nutze. Teilweise bekommt man da auch sehr spezielle und komplexe Sachen erklärt.
Bei mir ist das ein anderes Format, weil ich mit diesen 90-Minuten-Vorlesungen ins Netz gehe. Das kürzere 10-Minuten-Häppchen wäre mir auch lieber, aber die sind deutlich mehr Aufwand. Das kann ich aktuell nicht leisten. Man kann dann zwar alles viel besser umsetzen - zum Beispiel mit Licht und Ton, aber da baut man sich ja ein halbes Fernsehstudio auf. Und das will ich erstmal noch nicht.
Das Semester läuft zwar erst drei Wochen. Haben Sie trotzdem schon Rückmeldung von Studierenden bekommen, wie sie die Aufzeichnungen finden?
Die Studierenden haben noch nichts speziell dazu gesagt, aber ich sehe natürlich die Klickzahlen. Und die sind schon erstaunlich hoch.
350 Klicks auf das erste Video sind es momentan.
Genau, und das ist ja erst seit zwei Wochen im Netz. 350 finde ich schon ziemlich gut.
Verhalten sich Studierende anders, wenn die Vorlesung aufgezeichnet wird?
Ja, die trauen sich weniger zu fragen. Aber wir haben die Vorlesung geteilt in Vorlesung und Übung. Ich hoffe, dass die Fragen jetzt in die Übung getragen werden.
Warum sollten Studierende trotzdem noch in Ihre Vorlesung kommen, wenn sie alles bei Youtube nachschauen können?
Das ist eine total gute Frage: Mache ich mich selber damit überflüssig? Vielleicht. Aber da wir jede Vorlesung bisher drei Mal spiegeln und ich momentan auch aufgrund von Personalproblemen vor so einer großen Gruppe stehe, finde ich das gar nicht so schlimm. Ich glaube aber, dass der persönliche Kontakt zu einem Professor*in zu einer besseren Verwurzelung im Gehirn führt. Das ist nur eine Hypothese meinerseits: Ich glaube nicht, dass man vor dem Youtube-Video genau so gut lernt wie im Hörsaal. Alleine das Aufraffen morgens und zur Hochschule gehen motiviert einen auch, in der Vorlesung besser aufzupassen. Lernen hat auch etwas mit menschlichem Kontakt zu tun. Aber als Ergänzung sind die Videos wirklich toll!
Wie sieht Ihr Blick in die Zukunft aus? Wollen Sie Ihre Youtube-Karriere noch weiter gestalten?
Das Live-Streaming ist ein wichtiges Thema. Kürzere Tutorials sind ein weiteres wichtiges Thema. Das setzt aber voraus, dass man keine langen Denkprozesse hat, also dass man die Vorlesung in kleine Stücke schneiden kann. Nur dann kann ich Kurztutorials machen. Das würde sich in einigen Kursen anbieten, aber nicht in der Kostenrechnung. Da muss man eben die großen Zusammenhänge immer im Überblick haben. Aber zum Beispiel Programmierkurse kann ich mir vorstellen. Ich bringe ja auch Bachelor- und Masterstudierenden Programmieren mit R bei, das kann man auch in kurze Tutorials schneiden. Insofern halte ich mir diese Möglichkeit offen. Aber vorerst bleibe ich bei den Vorlesungen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Videos sind unter folgendem Link zu finden: https://bit.ly/2nEymi7
Das Interview führte Isabelle Wieser.
(veröffentlicht: 18.10.2019)