Se­xu­al­päd­ago­gik mit Schwer­punkt Ge­walt­prä­ven­ti­on

Ju­ni­or­pro­fes­sur

Pro­jekt­da­ten

Lauf­zeit
De­zem­ber 2013 - No­vem­ber 2019

Pro­jekt­ver­ant­wort­li­che
Prof. Dr. Uwe Sie­lert, Chris­ti­an-Al­brechts-Uni­ver­si­tät zu Kiel
Ju­ni­or­pro­fes­sur: Prof. Dr. Anja Hen­ning­sen

Kon­takt
anja.​henningsen(at)fh-kiel.de

Hin­ter­grund des Pro­jekts

Der For­schungs­auf­trag der Ju­ni­or­pro­fes­sur be­steht in der theo­re­ti­schen und em­pi­ri­schen Ana­ly­se der Zu­sam­men­hän­ge von Se­xu­al­päd­ago­gik und Ge­walt­prä­ven­ti­on. Kin­der und Ju­gend­li­che in ihrer psy­cho­se­xu­el­len Ent­wick­lung päd­ago­gisch-pro­fes­sio­nell zu be­glei­ten, be­deu­tet einen wich­ti­gen Schritt zu ihrer se­xu­el­len Selbst­be­stim­mung und Selbst­schutz­fä­hig­keit vor se­xua­li­sier­ter Ge­walt. Päd­ago­gisch Tä­ti­ge be­nö­ti­gen dafür se­xu­al­päd­ago­gi­sche Hand­lungs­kom­pe­tenz und sind ge­for­dert, ein Klima her­zu­stel­len, das se­xua­li­täts- und ge­walt­sen­si­bel ist.
Die Kie­ler Ar­beits­grup­pe er­ar­bei­tet vor die­sem Hin­ter­grund ein em­pi­risch fun­dier­tes Kon­zept zur Bil­dung ge­walt­prä­ven­ti­ver Se­xu­al­kul­tu­ren in päd­ago­gi­schen Ein­rich­tun­gen, über­prüft die Wirk­sam­keit se­xu­al­päd­ago­gi­scher Stra­te­gi­en zur För­de­rung von se­xu­el­ler Selbst­be­stim­mung bei Her­an­wach­sen­den und for­mu­liert se­xu­al­päd­ago­gi­sche Stra­te­gi­en und Hand­lungs­emp­feh­lun­gen zur Prä­ven­ti­on se­xua­li­sier­ter Ge­walt bei Kin­dern und Ju­gend­li­chen.

Fra­ge­stel­lung

Was er­ach­ten Ju­gend­li­che als be­deut­sa­me se­xu­el­le Er­fah­run­gen, wel­che Hin­der­nis­se neh­men sie in ihrer se­xu­el­len Ent­wick­lung wahr und wer/was bie­tet ihnen eine an­ge­mes­se­ne und hilf­rei­che Un­ter­stüt­zung, um eine selbst­be­wuss­te­re Ei­gen­be­trach­tung und ak­ti­ve Hand­lungs­stra­te­gi­en er­lan­gen zu kön­nen?

Wie kann in päd­ago­gi­schen Ein­rich­tun­gen die Bil­dung von Se­xu­al­kul­tu­ren in­iti­iert wer­den, die ge­walt­prä­ven­ti­ves und ent­wick­lungs­för­der­li­ches Han­deln der päd­ago­gi­schen Fach­kräf­te si­chern, allen Be­tei­lig­ten Mit­ge­stal­tungs­mög­lich­kei­ten bie­ten, ihre un­ter­schied­li­chen Be­dürf­nis­se be­rück­sich­ti­gen und ihre Selbst­be­stim­mung und Re­si­li­enz stär­ken? 

Stu­die

Von der Ju­ni­or­pro­fes­sur wer­den mo­men­tan drei For­schungs­pro­jek­te durch­ge­führt:

  • „Er­for­schung se­xu­el­ler Bil­dungs­pro­zes­se. Eine qua­li­ta­ti­ve Stu­die zur se­xu­el­len Kom­pe­tenz­ent­wick­lung von Ju­gend­li­chen“:
    Mit zwölf jun­gen Frau­en und sechs jun­gen Män­ner im Al­ters­durch­schnitt von 17 Jah­ren wur­den bio­gra­fisch-nar­ra­ti­ve In­ter­views (Schüt­ze 1983) ge­führt. Zur Aus­wer­tung dient eine nach Tie­fel (2005) lern- und bil­dungs­be­zo­gen mo­di­fi­zier­te Form der Groun­ded Theo­ry (Strauss/Cor­bin 1996), um Hand­lungs- und Pro­zess­phä­no­me­ne nach­zeich­nen zu kön­nen. Be­leuch­tet wer­den ins­be­son­de­re die Sinn-, Struk­tur-, und Hand­lungs­per­spek­ti­ven.
  • „Ju­gend­li­che als Adres­sat_in­nen be­darfs­ge­rech­ter se­xu­al­päd­ago­gi­scher An­ge­bo­te“:
    Hier soll fest­ge­stellt wer­den, in­wie­fern se­xu­al­päd­ago­gi­sche Ar­beit für Ju­gend­li­che un­ter­stüt­zend wirkt. An­ge­schlos­sen an eine Do­ku­men­ten­ana­ly­se se­xu­al­päd­ago­gi­scher Kon­zep­te wer­den fünf bis acht Fo­kus­grup­pen­dis­kus­sio­nen mit ins­ge­samt 25 bis 40 Ju­gend­li­chen durch­ge­führt. Thema sind die Er­fah­run­gen mit und Ge­stal­tungs­wün­sche an se­xu­al­päd­ago­gi­sche An­ge­bo­ten. Ein Ver­gleich der Er­geb­nis­se aus Do­ku­men­ten­ana­ly­se Fo­kus­grup­pen­dis­kus­sio­nen er­mög­licht es, die ju­gend­li­chen Be­dar­fe fest­zu­stel­len und zu über­prü­fen, wie diese er­füllt wer­den könn­ten.
  • „Kol­lek­ti­ver Um­gang mit Se­xua­li­tät in päd­ago­gi­schen In­sti­tu­tio­nen“:
    Um die ge­wünsch­ten Ent­wick­lungs­per­spek­ti­ven für mehr (se­xu­al­päd­ago­gi­sche) Hand­lungs­si­cher­heit zu ent­wi­ckeln, müs­sen die kom­ple­xen Wech­sel­wir­kun­gen in­ner­halb von päd­ago­gi­schen Ein­rich­tun­gen in den Blick ge­nom­men wer­den, die zu einem se­xu­al­freund­li­chen und gleich­sam ge­walt­prä­ven­ti­ven Wan­del füh­ren kön­nen. Dafür sol­len zwei päd­ago­gi­sche Ein­rich­tun­gen in ihrer Aus­ein­an­der­set­zung mit der ei­ge­nen Or­ga­ni­sa­ti­ons­kul­tur eth­no­gra­fisch be­glei­tet wer­den.

Aus­ge­wähl­te Er­geb­nis­se

„Er­for­schung se­xu­el­ler Bil­dungs­pro­zes­se“:

Ein wich­ti­ger As­pekt der Er­for­schung von Ju­gend­se­xua­li­tät ist ihr Um­gang mit Kri­sen. Es zeigt sich, dass Ju­gend­li­che in ihrer psy­cho­se­xu­el­len Ent­wick­lung viel­fäl­ti­ge Kon­flik­te und Kri­sen durch­lau­fen. Ob sie aus einer Krise ge­stärkt her­aus­ge­hen, an­ge­mes­se­ne Co­ping-Me­cha­nis­men ein­set­zen und die Er­fah­run­gen in ihre Bio­gra­fie in­te­grie­ren kön­nen, hängt auch davon ab, wie sie dabei be­glei­tet wer­den und ob sie einen Platz fin­den kön­nen, in dem sie dar­über spre­chen und re­flek­tie­ren dür­fen.

„Kol­lek­ti­ver Um­gang mit Se­xua­li­tät in päd­ago­gi­schen In­sti­tu­tio­nen“:

Die För­de­rung einer stär­ken­den Kom­mu­ni­ka­ti­ons­kul­tur in päd­ago­gi­schen Ein­rich­tun­gen wird er­schwert durch die dop­pel­te Ta­bui­sie­rung von Se­xua­li­tät und Ge­walt, die Tra­die­rung re­strik­ti­ver Ge­schlech­ter­rol­len, durch kul­tu­rel­le Ste­reo­ty­pe sowie einen Man­gel an Par­ti­zi­pa­ti­ons­mög­lich­kei­ten der Be­tei­lig­ten. Das führt zu wi­der­sprüch­li­chen An­for­de­run­gen an die päd­ago­gi­schen Fach­kräf­te, die zwi­schen Schutz vor Ge­fähr­dung und För­de­rung der Selbst­be­stim­mung ihrer Kli­en­t_in­nen sowie in­ten­si­ve Zu­sam­men­ar­beit und Wirt­schaft­lich­keit ge­spannt wer­den. Diese Fak­to­ren füh­ren zu einer kol­lek­ti­ven Hand­lungs­un­si­cher­heit der Ak­teur_in­nen, die sich im Um­gang mit Se­xua­li­tät durch Ver­mei­dungs­stra­te­gi­en, Kor­rek­tur und Kon­trol­le oder in­sti­tu­tio­nell nicht ge­si­cher­te Ad-hoc-Re­ak­tio­nen äu­ßern - häu­fig ver­bun­den mit dem Ver­such, dem Vor­wurf der Un­tä­tig­keit zu ent­ge­hen. Die Schwie­rig­kei­ten im Um­gang mit Se­xua­li­tät und Ge­walt wer­den auf per­so­na­ler wie or­ga­ni­sa­tio­na­ler Ebene deut­lich; ihre Ur­sa­chen sind eben­falls nicht nur auf in­di­vi­du­el­ler Ebene zu su­chen, son­dern be­son­ders auch auf in­sti­tu­tio­nel­ler und ge­sell­schaft­li­cher. Die För­de­rung einer ge­walt­prä­ven­ti­ven, eman­zi­pa­to­ri­schen Se­xu­al­kul­tur in päd­ago­gi­schen In­sti­tu­tio­nen be­darf des­we­gen eines mehr­schich­ti­gen An­sat­zes.

Pu­bli­ka­tio­nen

Ver­öf­fent­licht:

Hen­ning­sen, Anja (2016): Se­xu­el­le Bil­dung und Ge­walt­prä­ven­ti­on. Eine sys­te­ma­ti­sche Re­fle­xi­on zur Prä­ven­ti­on se­xua­li­sier­ter Ge­walt in päd­ago­gi­schen Kon­tex­ten. In: Hen­ning­sen, Anja; Tui­der, Eli­sa­beth; Tim­mermanns, Ste­fan (Hrsg.): Se­xu­al­päd­ago­gik kon­tro­vers. Wein­heim: Beltz Ju­ven­ta. S. 120-141.

Hen­ning­sen, Anja; Beck, Mirja (2016): Krise als Chan­ce. Part­ner­schaft­li­che und se­xu­el­le Lern­pro­zes­se im Ju­gend­al­ter. In: Se­xuo­lo­gie 23 (3-4). S. 147-154.

Hen­ning­sen, Anja (2015): Se­xu­al­päd­ago­gik als Pro­fes­si­on - Ein Zu­stands­be­richt. In: So­zi­al­ma­ga­zin 1-2. S. 48-55.

List, Inga Marie; Jen­ner, Lina; Hen­ning­sen, Anja (2017): Mo­ni­to­ring zum eng­lisch­spra­chi­gen For­schungs­stand "Se­xu­el­le Ge­walt in päd­ago­gi­schen Kon­tex­ten". Bi­blio­gra­phie, Num­mer 1. Zeno­do.

In Vor­be­rei­tung:

Hen­ning­sen, Anja; List, Inga-Marie: Zwi­schen Ein­füh­lung, Mei­dung und Kon­trol­le. Zum kol­lek­ti­ven Um­gang mit Se­xua­li­tät in päd­ago­gi­schen In­sti­tu­tio­nen. In: Dek­ker, Arne; Hen­ning­sen, Anja; Ret­kow­ski, Alex­an­dra; Voß, Heinz-Jür­gen; Waz­la­wik, Mar­tin (Hrsg.): Se­xu­el­le Ge­walt in päd­ago­gi­schen Kon­tex­ten. Wies­ba­den: Sprin­ger VS. Im Er­schei­nen.

Beck, Mirja; Hen­ning­sen Anja: Kom­pe­ten­zen se­xu­el­ler Bil­dung. Eine An­nä­he­rung aus der Per­spek­ti­ve Ju­gend­li­cher und päd­ago­gi­scher Fach­kräf­te. In Ar­beit.

Beck, Mirja; Hen­ning­sen, Anja; Pöter, Jan; Rau, Thea; Voß, Heinz-Jür­gen: Qua­li­fi­zie­rungs­maß­nah­men für Fach­kräf­te zu Prä­ven­ti­on se­xu­el­ler Ge­walt. In Ar­beit.