Prof. Dr. Andreas Luczak lehrt Energiewende an der FH Kiel. Zu dem Thema hat er ein Buch veröffentlicht, über das er im Interview mit der Campusredaktion spricht.
Herr Luczak, Sie haben ein Buch geschrieben. Es heißt „Deutschlands Energiewende – Fakten, Mythen und Irrsinn“. Was war Ihre Motivation?
Ich beschäftige mich seit zwölf Jahren beruflich mit der Energiewende. Seit vier Jahren bin ich nun an der FH Kiel und unterrichte mehrere Module, die damit zu tun haben. Eines heißt sogar „Energiewende“. Ich verfolge seit vielen Jahren die Veröffentlichungen und Medienberichte dazu. Mit der Zeit hat es mich immer mehr geärgert, wenn ich gesehen habe, dass bestimmte Dinge falsch dargestellt wurden oder ich den Eindruck hatte, dass Meinungen oder Wahlentscheidungen anders ausfallen würden, wenn es mehr Transparenz über diese Thematik gäbe. Transparenz darüber, wo wir stehen, was gut lief, und was nicht gut lief, wie man es also in der Zukunft machen sollte. Mit dem Buch wollte ich meinen Ärger über die verfälschende Berichterstattung über die Energiewende ein bisschen von der Leber schreiben. Durch das Lesen von Beiträgen in Diskussionsforen hatte ich außerdem den Eindruck, dass die Energiewende viele Bürger interessiert und dazu ein ziemlicher Wissensbedarf besteht. Es gibt zwar sehr lange, komplexe wissenschaftliche Studien dazu, aber die lesen ja die wenigsten. Andererseits gibt es sehr viele verfälschende Vereinfachungen, wenn Sachverhalte in den Medien heruntergebrochen werden. Ich fand, dass in der Berichterstattung über die Energiewende eine Art Mittelding fehlt: Etwas tiefergehend als die üblichen Kurznachrichten darüber, aber trotzdem so, dass es auch für Fachfremde verständlich ist.
Sie bezeichnen das Buch im Vorspann als „populärwissenschaftlich“. An wen richtet es sich?
Es richtet sich grundsätzlich an alle Bürger*innen, die sich für den Klimawandel und die Energiewende interessieren. Die Themen beziehen sich dabei spezifisch auf die deutsche Klimapolitik mit Bezügen zu Europa und der Welt, wobei insbesondere das Thema individuelle Mobilität einen Schwerpunkt bildet.
Anfangs beleuchten Sie gängige Argumentationen von Klimaleugner*innen. Wie haben Sie die Argumente und deren Strukturen herausgefunden?
Die ersten Ansätze dafür bekam ich aus den Foren von Online-Medien, wo ich auf viele der gängigen Argumente von Klimaleugnern stieß. Diese klangen teilweise sogar recht plausibel, deswegen habe ich anschließend recherchiert, wie diese widerlegt werden können. Auch in dem Klimawandel-Modul an der FH wird dies aufgegriffen. Dabei werden mit den Studierenden die Argumente der Klimaleugner und deren Gegenargumente erarbeitet und diskutiert – teilweise auch sehr kontrovers. Es gibt sogar wissenschaftliche Studien, die sich mit der Argumentationslogik von Klimaleugner*innen befassen, diese wissenschaftlich analysieren und widerlegen.
Welche Motivation steckt dahinter, diese Argumente so ausführlich zu entkräftigen?
Die Mehrheit der Menschen in Deutschland behauptet zwar, an den menschengemachten Klimawandel zu glauben. Aber wenn man sich die relativ geringen Fortschritte in Deutschland in den letzten zehn Jahren anschaut, scheint der Glaube an den Klimawandel vielleicht doch nicht so stark zu sein. Weil ich mich beruflich damit viel beschäftige möchte ich hier einen Beitrag leisten, dass die notwendigen Herausforderungen besser verstanden werden. In meinem Buch geht es auch um das Thema Gewissen. Auch wenn das eigene Verhalten die Welt nicht groß verändern kann, möchte ich mir noch im Spiegel in die Augen schauen können. Wenn ich es schaffe, dass jedes Jahr 20 oder 30 Studierende die Energiewende besser verstehen, dann geht es mir schon besser, auch wenn ich damit natürlich nicht die Welt retten kann.
Welcher Klima-Mythos soll mit diesem Buch unbedingt aus dem Weg geräumt werden?
Einer der Mythen, die verbreitet sind, ist, dass Elektroautos bereits jetzt sehr klimafreundlich sind. Beim genaueren Hinschauen sieht man allerdings: Die Studienlage ist da gar nicht so eindeutig. Und selbst wenn eine gewisse Emissionseinsparung vorhanden wäre, ist diese in Relation zu den Mehrkosten, die Bürger für den Kauf eines Elektroautos in Kauf nehmen, und in Anbetracht der steuerfinanzierten Subventionen der Elektromobilität erschreckend gering. In der Endphase der Energiewende, ist ein Umstieg auf Elektromobilität natürlich sehr sinnvoll, aber davon sind wir bei der gegenwärtigen Klimapolitik noch etliche Jahrzehnte entfernt.
Ein weiterer Mythos besteht darin zu glauben, ein Batteriespeicher für die eigene Solarenergie sei klimafreundlich. Das Gegenteil ist jedoch der Fall, da selbst erzeugter Solarstrom, den man nicht selber verbrauchen kann, problemlos die Nachbarn nutzen können und die Speicherverluste sogar Ökostrom vernichten. Trotzdem wird die Anschaffung von Speichern von Politik und den Medien immer wieder empfohlen. Die Käufer*innen denken dann, sie tun dem Klima etwas Gutes, geben dafür viel Geld aus, aber schaden dem Klima sogar durch diese Anschaffung. Dass der Staat die Speicher auch noch mit unseren Steuergeldern fördert, ärgert mich besonders.
Ähnlich ist es beim Hype um Wasserstoff. Wasserstoff wird in der Endphase der Energiewende zwar definitiv gebraucht werden. Momentan ist dies die mit Abstand teuerste Möglichkeit, Treibhausgase einzusparen. Wird für die Wasserstofferzeugung nicht ausschließlich überschüssiger Ökostrom verwendet, führt dies sogar zu einer höheren Auslastung der noch bestehenden Kohle- und Gaskraftwerke und damit zu mehr CO2. Es kommt bei der Energiewende eben nicht nur auf die richtigen Maßnahmen an, sondern auch auf die richtige Reihenfolge, in der sie umgesetzt werden.
„Gewinne werden privatisiert, Verluste sozialisiert“, schreiben Sie. Haben Sie dafür ein prominentes Beispiel?
Das Thema Kohleausstieg ist ein gutes Beispiel dafür. Der europäische Emissionshandel besagt, dass ein Maximalwert an auszustoßenden Emissionen festgelegt wird. Dieser wird auf die Kraftwerke verteilt durch sogenannte Emissionszertifikate. Wer weniger ausstößt, kann die überschüssigen Emissionszertifikate an andere Kraftwerke verkaufen, die dann wiederum mehr ausstoßen dürfen. Um das Klimaziel zu erreichen, wird der Gesamtwert der Emissionen jährlich verringert. Dies bedeutet auch, dass es für das Klima nicht viel bringt, wenn ein Land in der EU beschließt, dass es bestimmte Kraftwerke stilllegt. Die Summe der vorhandenen Emissionszertifikate bleibt ja gleich. Also nutzen andere Kraftwerke die Zertifikate der stillgelegten Kraftwerke und erhöhen ihre Auslastung. Für eine Emissionssenkung müssen also stattdessen Emissionszertifikate vom Markt genommen werden. Der dadurch steigende Preis für die verbleibenden Zertifikate führt dazu, dass Kraftwerke mit besonders hohen Emissionen unwirtschaftlicher und dadurch gedrosselt oder stillgelegt werden. Die Kraftwerksbetreiber*innen hätten dann aber keinen Anspruch auf eine Entschädigung. Da die Stilllegung in Deutschland jedoch staatlich angeordnet ist, haben die Kraftwerkbetreiber*innen Anspruch auf einen Ersatz ihrer entfallenen Profite. Diese Entschädigung zahlt die Allgemeinheit durch Steuergelder, während die Milliardengewinne der Kraftwerkbetreiber*innen, die über Jahrzehnte von der klimaschädlichen Kohleenergie extrem profitiert haben, unangetastet bleiben.
Zuletzt gehen Sie auf den Einfluss von Corona auf Klimawandel und Energiewende ein. Wie kann man diesen zusammenfassen?
Der direkte Einfluss der Corona-Pandemie auf das Klima ist positiv: Weniger Flüge, weniger Verkehr, weniger Produktion und damit weniger Energieverbrauch. Allerdings ist das kein nachhaltiger Effekt. Wird das öffentliche Leben wieder hochgefahren, die Wirtschaft wieder angekurbelt, werden auch wieder mehr Emissionen ausgestoßen. Dieses Jahr wird nur eine kleine Delle in den Emissionen sein. Und das macht den Einfluss von Corona auf das Klima im Endeffekt sogar negativ. Durch Corona wird nämlich die unzureichende Klimapolitik Deutschlands überdeckt. Das von der Bundesregierung versprochene Ziel, 40 Prozent der Emissionen von 1990 bis 2020 einzusparen, hätte Deutschland eigentlich mit Pauken und Trompeten verfehlt. Dann wäre ein öffentlicher Druck aufgekommen, mehr Maßnahmen zum Klimaschutz einzuführen. Jetzt werden wir dieses Ziel aber vermutlich aber wegen Corona doch noch erreichen. Bis der breiten Öffentlichkeit bewusst wird, dass Deutschland viel zu wenig für den Klimaschutz tut, werden etliche Jahre vergehen. Außerdem wird angesichts der aktuellen Wirtschaftsprobleme die Bereitschaft noch weiter sinken, Belastungen zugunsten von Klimaschutz auf sich zu nehmen. Die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung zeigen jedoch auch, zu welchen Einschränkungen Bürger*innen grundsätzlich bereit sind, wenn sie darin einen Sinn sehen. Ob dies auf Klimaschutzmaßnahmen übertragbar ist, wird man sehen. Man hat dann doch eher Respekt vor der Gefahr einer Krankheit, die einen selbst oder das nähere Umfeld unmittelbar treffen kann. Die Effekte des Klimawandels dagegen werden vor allem erst die Generationen nach uns treffen. Deswegen ist da die Bereitschaft deutlich geringer, Einschränkungen in Kauf zu nehmen. In meinem Buch nenne ich das „Generationenegoismus“. Insgesamt sehe ich den Einfluss von Corona also eher negativ für den Klimaschutz.
Wie könnte man das Buch in einer Kernaussage zusammenfassen?
Eine der Kernaussagen ist, dass wir Stand heute die versprochenen Klimaziele bei weitem nicht erreichen, weil die Politik der Wirtschaft und der Bevölkerung keine großen Belastungen zumuten will. Viele Dinge, die Wohlstand bedeuten, beruhen auf der Nutzung billiger fossiler Energie. Das macht im Umkehrschluss viele Dinge weniger erschwinglich, wenn man diese fossile Energien nicht mehr nutzen darf. Das vergleichsweise marginale Thema Tempolimit hat für mich da fast symbolischen Charakter. Man sieht dabei, dass sich selbst bei einer so minimalen Einschränkung viele Menschen sehr stark in ihrer Freiheit beschnitten fühlen. Da bin ich mal sehr skeptisch, was die Leute sagen werden, wenn klimafreundliche Treibstoffe drei oder vier Euro pro Liter kosten und Flugtickets sich im Preis vervierfachen.
Eine andere Kernaussage ist, dass die Politik bislang sehr wenig auf die „Energiewendeeffizienz“ geachtet hat. Es werden oft Dinge gefördert, die zwar klimafreundlich sind, aber in Relation zu den damit verbundenen Kosten vergleichsweise wenig bringen. Leider spielt oft die Ideologie und der Lobbyismus bestimmter Wirtschaftszweige eine größere Rolle, als zu versuchen, mit dem geringsten Aufwand den größten Klimaeffekt zu erzielen.
Sie sind also pessimistisch, dass wir die Einhaltung der Pariser Klimaziele schaffen.
Ja. Die Klimaziele sehen vor, die Erderwärmung bis 2100 möglichst auf 1,5°C zu begrenzen, aber auf jeden Fall unter 2°C zu bleiben. Um dies zu erreichen, darf die Menschheit ab allerspätestens 2050 keine Treibhausgase mehr ausstoßen. Ich glaube jedoch nicht, dass wir dieses Ziel erreichen werden. Man darf das aber auch nicht digital sehen: „Wenn wir das erreichen, ist alles super, wenn wir das nicht erreichen, geht die Welt unter.“ Auch wenn wir das Ziel erreichen, werden die Klimaschäden zunehmen. Und wenn wir das Ziel erst 2055 oder 2060 erreichen, werden die Probleme nicht unendlich viel größer sein. Wenn jedoch alle Länder sich so verhalten, wie Deutschland in den letzten zehn Jahren, dauert es noch etwa 150 Jahre bis zur Klimaneutralität.